von Bettina Schnerr, 18.02.2020
Das Wesen der Nacht und andere Geheimnisse
Das Bilderbuch „Anna und die Nacht“ und die Anleitung „Gedanken auf der Achterbahn“ für das Philosophieren mit Kindern haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Auf den zweiten hingegen sind die beiden Hand in Hand gut unterwegs.
Fangen wir mit Tanja Kummer an, die 2018 ihren ersten Kinderroman Cat Cat veröffentlichte. Vor Kurzem folgte das Bilderbuch „Anna und die Nacht“ für ein weitaus jüngeres Publikum. Die Geschichte erzählt von Anna, die Abends mit der jugendlichen Babysitterin zu Hause bleibt, weil die Eltern ausgehen. „Die Nacht ist noch jung,“ sagt Papa beim Abschied. Wenig später trifft Anna die Nacht tatsächlich und versteht, was Papa gemeint hatte. Anna stürzt sich gemeinsam mit der Nacht ins Dunkle und spielt mit ihr.
Die Entdeckungsreise der neugierigen Anna in der Dunkelheit führt durch den Sandkasten über die Schaukel und sogar bis zum See. Doch die Nacht ist gar nicht so ein toller Spielkamerad, sondern eigentlich ein ziemlicher Angsthase. Am Ende geht Anna doch lieber ins Bett, statt sich mit so einer Nervensäge zu beschäftigen.
Die Nacht ist viel ängstlicher als Anna
Für Kinder ab 4 Jahren liefert die kleine Figur der Nacht eine Chance, ihre eigene Angst vor der Dunkelheit loszuwerden: Die Nacht ist nämlich viel ängstlicher als Anna. Dann ist die Nacht gewiss auch ängstlicher als man selbst, oder? Und Kinder, die nicht gerne schlafen gehen, erfahren, dass sie nichts Wichtiges verpassen.
Daniela Rütimann illustriert mit wenigen Elementen. Ihr Augenmerk liegt darauf, im Dunkel der Nacht Kleinigkeiten zum Finden zu verstecken. Da tanzen Mäusepärchen und schwimmende Biber tauchen auf. Nicht zuletzt muss man die Nacht im Dunkeln finden. An welcher Stelle sitzt sie denn im Sandkasten?
Sokrates steckt in jedem Kind
Mit einer Frage von Anna lässt sich hervorragend zum zweiten Buch überleiten: Wie alt ist die Nacht eigentlich, wenn sie so jung ist, wie der Papa meint? Eine so typische Reaktion auf Sprichwörter der Erwachsenen! Mit ein wenig Entdeckerlust findet ein Kind Antworten auf solche Fragen. Wie Eltern ihren Kindern dabei helfen können, verrät „Gedanken auf der Achterbahn“.
Geschrieben hat das Buch Veronika Fischer, die Philosophie studierte und heute unter anderem Workshops für das Philosophieren mit Kindern gibt und auch Autorin bei thurgaukultur.ch ist. Ihr Ansatz geht auf das einfachste Grundprinzip der Philosophie zurück: Denkprozesse entwickeln und logische Schlussfolgerungen finden. Mit ihrem Buch gibt Fischer Tipps, wie sich das mit Kindern strukturieren und geschickt anleiten lässt. Es geht gar nicht darum, gleich richtige Antworten zu geben. Es geht vielmehr darum, eine Idee von verschiedenen Seiten zu betrachten und sich ein gutes Gesamtbild zu machen.
Das Buch gibt vor allem Eltern Anregungen
Kinder sind wahre Meister darin, grenzenlos nachzudenken. Wie oft stellt man als Erwachsener fest, dass vordergründig ulkigen Gedankengängen eine beeindruckende Logik zugrunde liegt? Mit ein paar gezielten Anregungen lässt sich die Kreativität sehr gut für die Philosophie nutzen. Dazu bietet jedes der sieben Kapitel kurze Tipps für den Einstieg, die auf Besonderheiten der Themen hinweisen und verschiedene Denkarten erläutern.
Die Themen selbst reichen vom eigenen Ich über abstraktere Begriffe von Freundschaft und Geld bis hin zum Weltall. Dann folgt ein großer Teil mit Beispielen, die in Fischers Workshops tatsächlich passiert sind. Statt in Textform setzt Illustratorin Stefanie Seltner die mal phantasievollen, mal überraschend logischen, mal witzigen Gedankengänge der Kinder in Comicform um. Ein Mitmachblatt rundet jedes Kapitel ab.
Was hat das übrigens mit Sokrates zu tun? Der griechische Philosoph war der Meinung, Weisheit stecke in jedem Menschen und man könne sie durch geschicktes Nachfragen hervorholen. Wer will es mit seinen Kindern ausprobieren? Los geht‘s: Wie jung ist die Nacht nun eigentlich?
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