von Ramona Früh, 09.06.2020
Der Grenzgänger
Nach Kreuzlingen, Zürich, Basel und New York bildet nun Winterthur den Ausgangspunkt von Max Petersens internationaler Karriere. Ob er lieber Jazz oder Klassik spielt? Kategorien mag er nicht, in seiner Musik verschmelzen die Musikrichtungen sowieso. Nun erhält der Pianist einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau.
Max Petersen ist auf dem Weg zu einer Studioaufnahme. Das Klaviertrio in e-moll op. 67 von Schostakowitsch wird er heute in Basel mit anderen Musikern aufnehmen und er, der ausgebildete Jazzmusiker, wird am Klavier sitzen. Jazz und Klassik und beides auf sehr hohem Niveau in Konzerten und Studioaufnahmen zu spielen, ist aussergewöhnlich für einen Musiker. Bei Max Petersen scheint es selbstverständlich zu sein. Bei ihm verschmelzen beide Richtungen und damit auch zwei ganz unterschiedliche, von vielen Vorurteilen geprägte Welten.
Schon als Dreijähriger, da lebte er noch in Australien, hätten ihm seine Eltern die japanische Suzuki-Methode beigebracht, bei welcher Kinder lernen, Melodien nur nach dem Gehör zu spielen. Seine Eltern hätten ihn zwar früh an die Musik gebracht, aber nicht gepusht oder gar gezwungen. So kam er zum Klavier, hatte jahrelang gespielt und Klavierunterricht gehabt, «aber ich habe nie geübt», lacht Petersen. «So richtig» habe er erst mit 14 angefangen. «Seit dem dreht sich in meinem Leben alles um die Musik.»
«Klassik und Jazz sind zwei Welten. Es gibt viele Vorurteile, weil man zu wenig voneinander weiss.»
Max Petersen, Pianist
Damals kam er an die Pädagogische Maturitätsschule in Kreuzlingen in die Kunst- und Sportklasse und begann nebenbei bereits das Frühstudium an der Jazzschule in Zürich. «Die Schule in Kreuzlingen war ein Geschenk für mich», sagt Petersen rückblickend. In dieser Begabtenklasse bekommen die Schülerinnen und Schüler aus Musik, Kunst oder Sport sehr viel Freiraum und Förderung.
«Wir waren eine bunte Klasse. Da waren auch Hochleistungssportler dabei, die sich in jeder Pause geprügelt hatten», lacht Petersen. Es gebe weniger Präsenzunterricht, dafür mehr Zeit zum Trainieren oder Studieren. «Es liegt in der Eigenverantwortung jedes Schülers und jeder Schülerin, am Ende die Prüfungen hinzubekommen. Das ist cool, wenn man gleichzeitig studieren will wie ich.»
Video: So klingt Max Petersen
Mit Fleiss, Ehrgeiz und einem Ziel vor Augen, absolvierte Petersen den Ausbildungsweg in Rekordtempo. Schon mit 23 hatte er seinen Masterabschluss in der Tasche. Eine besondere Begabung brauche es dafür nicht, meint er. Klar sei er ehrgeizig – früher noch mehr als jetzt. «Gewisse Dinge gingen nur deshalb so schnell, weil ich es auch so wollte. Ich hatte schnell ein bestimmtes Niveau erreicht und konnte schon mit 16 Unterricht bei Hochschuldozenten nehmen. Ich hatte Glück, mit sehr viel guten Leuten arbeiten zu können. Die Inspiration kam von diesen.»
«Ich empfehle jedem Thurgauer den Besuch eines Jazzclubs in New York.»
Max Petersen, Förderbeitrags-Gewinner 2020
Nach der Jazzschule in Zürich ging er nach New York. «New York war für mich sehr wichtig, Jazz ist dort so bedeutend und jeder Thurgauer sollte mal einen New Yorker Jazzclub besucht haben!», meint Petersen. «Dort erlebt man die Seele des Jazz, Ausdruck und Freude, so dass jeder einen Zugang dazu findet.»
Dass viele Leute mit Jazz nicht viel anfangen können, weiss er. Doch: «Jazz kann jeder und jede erleben. Ich versuche die Leute in konkrete Erlebnisse zu schubsen. Man kann Jazz nicht erklären, aber sagen: Geh zu einem Konzert oder hör die und die Platte.»
Wer ganz neu zum Jazz komme, solle sich zum Beispiel mal «Kind of Blue» von Miles Davis oder «The Köln Concert» von Keith Jarrett anhören.
Jazz als Fahrstuhlmusik?
Er wehrt sich gegen die Vorurteile, Jazz sei Fahrstuhlmusik oder bloss Hintergrundmusik in einer Bar. Sowieso mag er den Begriff nicht: «Das Wort Jazz hat für mich mehr mit der Kategorisierung durch die Musikindustrie zu tun. Die damit verbundene Geschichte mit der Ausbeutung der afroamerikanischen Musiker und dem Rassismus ist nicht schön. Deshalb rede ich heute lieber von afroamerikanischer Musik.»
Die Vorurteile gegen Jazz kommen auch immer wieder von Seiten der klassischen Musikerinnen und Musiker. «Klassik und Jazz sind zwei Welten. Es gibt viele Vorurteile, weil man zu wenig voneinander weiss. Man muss die Stereotypen überwinden. Immer wenn man Grenzen übertritt, ist es wie ein Schritt in ein neues Feld. So kann man seinen Horizont erweitern und sich weiterentwickeln.»
Video: Max Petersen live
Auch Beethoven hat auf dem Klavier improvisiert
Er selber habe sich schon immer in beiden Welten bewegt. An der Hochschule für Musik in Lugano studiert er nun «Classical Concert Improvisation». «Bereits Pianisten in der Klassik und der Romantik haben improvisiert, aber es gibt halt keine Aufnahmen davon. Im Jazz wird die Improvisation noch gelebt, aber in der Klassik ist sie verschwunden.» Die drei Hauptvertreter der Wiener-Klassik, Beethoven, Mozart und Haydn, hätten sehr viel improvisiert, das sei erwiesen.
Wie improvisieren genau funktioniert, versucht Petersen anhand der Sprache zu erklären: «So wie du mir Fragen stellst und ich antworte, ist unser Gespräch ja improvisiert. Ich habe mir die Antworten nicht aufgeschrieben und trotzdem ergeben sie Sinn und sind nicht willkürlich. Genauso ist es in der Improvisation. Ein klassisches Konzert hingegen ist wie vorlesen. Heute haben wir in der klassischen Musik eine Museumskultur.» Als Jazzmusiker sei es für ihn der natürlichere Weg. «Wenn ich komponiere, fliessen beide Welten ineinander.»
Mit dem Fördergeld will er ein neues Album produzieren
Diese Verbindung zwischen Jazz und Klassik, die Petersen nicht nur immer wieder herstellt, sondern auch lebt, wird besonders sichtbar bei seinem Vorhaben, das er mit dem Förderbeitrag des Kantons Thurgau umsetzen will. Er kombiniert das Klassische Klaviertrio mit dem Jazztrio: «Beide Besetzungen haben eine starke Tradition, die ich nun verbinde.»
Er komponiert deshalb Stücke für ein Album mit der Besetzung Klavier, Schlagzeug, Bass und Cello. Das Komponieren und einspielen im Studio kostet Zeit und Geld. Dafür wird er die CHF 25'000 des kantonalen Förderbeitrags verwenden. Das Album soll 2021 erscheinen.
Max Petersen
Max Petersen (*1994) ist in Kreuzlingen aufgewachsen, er lebt und arbeitet in Winterthur. An der Zürcher Hochschule der Künste absolvierte er den Bachelor of Music Performance und den Master of Music Pedagogy. Seit 2018 macht er zudem eine Ausbildung am Jazzcampus Basel bei Malcolm Braff im Bereich Music Performance sowie eine Ausbildung in Classical Concert Improvisation an der Hochschule für Musik in Lugano (SUPSI). Er ist Leader seiner eigenen Band, dem Max Petersen Trio, und hat 2019 das Album "Divine Traces" veröffentlicht. Zudem spielte er als Sideman im Lukas Mantel Sextett und im Nicole Johänntgen Quartett mit Konzerttätigkeit in Deutschland, Belgien und Frankreich. Den Förderbeitrag des Kantons Thurgau wird Max Petersen für die Weiterbildung in Form von Meisterkursen und Unterricht sowie die Weiterentwicklung der Musik des Max Petersen Trios verwenden.
Die Förderbeiträge und die Serie
Die Auszeichnung: Der Kanton vergibt einmal jährlich persönliche Förderbeiträge an Kulturschaffende aus dem Thurgau, die mit einem überzeugenden Vorhaben in ihrer Karriere einen Schritt weitergehen möchten. Die Förderbeiträge sind mit je 25 000 Franken dotiert. Die Förderbeiträge wurden von einer Jury vergeben, die sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt. Auch in diesem Jahr sei die Anzahl und Qualität der eingegangenen Bewerbungen hoch gewesen, teilt das kantonale Kulturamt mit. Die Ausgezeichneten wurden von der Fachjury aus 51 Bewerbungen ausgewählt.
Die Gewinner 2020 auf einen Blick: Ausgezeichnet werden in diesem Jahr: Rahel Zoë Buschor, Tänzerin (Sulgen), Markus und Reto Huber, bildende Künstler (Zürich), Julia Langkau, Autorin (Bern), Rhona Mühlebach, bildende Künstlerin (Dettighofen), Max Petersen, Musiker (Winterthur) sowie Andri Stadler, bildender Künstler (Luzern).
Die Serie: In einer Porträtserie stellen wir alle GewinnerInnen der diesjährigen Förderbeiträge vor. Die Folgen erscheinen in loser Reihenfolge.
Teil 1 der Serie: «Literatur kann uns Hoffnung geben»: Interview mit der Autorin Julia Langkau
Teil 2 der Serie: «Spagat zwischen zwei Welten»: Porträt der Tänzerin Rahel Zoë Buschor
Teil 3 der Serie: «Der Grenzgänger»: Porträt des Musikers Max Petersen
Teil 4 der Serie: «Expedition in die Dunkelheit»: Porträt des Fotografen Andri Stadler
Teil 5 der Serie: «Die Natur als politischer Ort»: Porträt des Künstler-Duos Huber.Huber
Teil 6 der Serie: «Auf der Suche nach Wildnis»: Porträt der Videokünstlerin Rhona Mühlebach
Das Dossier: In unserem Themendossier zu den kantonalen Förderbeiträgen werden alle Episoden der Serie gebündelt. Dort finden sich auch Porträts zu früheren PreisträgerInnen.
Weitere Beiträge von Ramona Früh
- Kultur für alle und zum mitmachen (18.09.2021)
- Leben für das Buch (02.09.2021)
- Fast am Ziel (03.02.2021)
- Der Problemlöser (23.11.2020)
- So klingt der Thurgau (31.08.2020)
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Ist Teil dieser Dossiers
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