von Anabel Roque Rodríguez, 20.08.2020
Ein Wirbelwind der «geilen Kunst»
Die Kunstfigur Leila Bock, alias Anita Zimmermann, organisiert nun bereits zum dritten Mal das Zwischennutzungsprojekt “Geiler Block”, das diesmal in Arbon im ehemaligen Saurer Werk 1 auf zwei Etagen stattfindet. Als Unterstützung hat sich die Künstlerin diesmal die Galeristen Jordanis Theodoridis und Werner Widmer mit ins Team geholt. Bei der Eröffnung scherzt sie daher “Leila Bock trägt nun Haare an den Beinen.”
Das Motto lautet «grösser, grandioser, geiler» und so zeigen am Ende 52 Künstler und Künstlerinnen 48 Arbeiten. Das Besondere dabei ist, dass den Kunstschaffenden dabei jeweils ein Raum zur Bespielung zur Verfügung steht. Ein kuratorisches Konzept lässt sich dabei nicht erkennen, ausser dass die Ausstellung einen Einblick in die lebendige Ostschweizer Kunstszene gibt, so ist jeder Raum eine erneute Überraschung für den Betrachter. Viele nutzen die Chance, um neue Arbeiten zu zeigen.
Geschichten aus dem Lockdown
Natürlich gibt es im Geilen Block Arbeiten, die von der Pandemie handeln. Der St. Galler Künstler Josef Felix Müller hatte für März eigentlich eine Menge anderer Dinge geplant, allerdings wurden seine Termine alle abgesagt und er tat es vielen anderen gleich und konzentrierte sich auf das Nahe. In seinem Fall begann er seinen Garten umzugraben und akribisch zu sortieren, was er dabei gefunden hat: Scherben, Würmer, Schnecken. Seine Fundstücke werden zu Motiven seiner Fotografien, wovon 25 Bögen in Arbon zu sehen sind.
Beatrice Dörig zeigt mit 102 x 8 = ∞ hundertzwei Linienzeichnungen, die in der Zeit zwischen dem 11. März 2020 und 21. Juni 2020 entstanden sind. Zeit ist häufig mit einem sehr subjektiven Gefühl verbunden, aber gerade während der Pandemie, gaben Zeitspannen und Schutzmassnahmen der Zeit eine neue kollektive Bedeutung. Die dichten Linien in Dörings Zeichnungen nehmen täglich Stunden in Anspruch. Die liegende Acht schreibt als Unendlichkeitszeichen eine immer gleiche Abfolge vor. Eine Prozedur, die Geduld schult und Zeit ein wenig besser greifbar macht.
Die Arbeit an der Videoarbeit zu P-O-I (Power of Imagination) begann die Künstlerin Olga Titus bereits 2019 und doch vereint der Film gleich mehrere brandaktuelle Themen. Die Schweizerin mit malaysisch-indischen Wurzeln stellt in ihrem Arbeiten immer wieder wichtige kulturellen Fragen: Was ist kulturelle Identität? Wer entscheidet über die Wahrnehmung als Fremder im eigenen Land? Eine Frage, die gerade durch Black Lives Matter eine erneute Debatte ausgelöst hat. In der Videoarbeit geht es um gewisse Viren im menschlichen Körper und um Grenzen, die geschlossen werden. Vor allem ist die Arbeit ein Statement gegen Ausgrenzung und Separation.
Zurück zur Natur
Immer wieder taucht auch die Natur als Thema in den Arbeiten auf. Andri Stadler, der in diesem Jahr auch den Förderbeitrag des Kantons Thurgau erhalten hat, zeigt ein Video aus seinem aktuellen Projekt “Übergang-passagi". In dem Projekt geht es um die geografischen Übergänge im Alpenraum. In der 10-minütigen Kameraeinstellung lotet der Fotograf und Filmemacher erneut die Grenzen des Mediums aus und fährt mit dem Betrachter in der
Morgendämmerung, von der Dunkelheit Richtung Scheitelpunkt des Col de la Bonette Richtung Licht. Die Reise zum Scheitelpunkt ist eine Herausforderung, handelt es sich mit 2802 m doch um die zweithöchste asphaltierte Straße der Alpen.
Monika Sennhauser ist eine Künstlerforscherin, die seit Jahren den Lauf des Sonnenlichts erforscht. Mal im eigenen Atelier oder auf Reisen beobachtet sie die Veränderungen durch die Tages- und Jahreszeiten. In Arbon hat sie drei Sonnenlichteinfälle in der Zeit vom 19. Mai bis zum 25. Juli festgehalten. Der 20. Juni stellt dabei die Sommersonnwende dar und ist somit der längste Tag im Jahr. Das einfallende Licht hat die Künstlerin mit verschiedenen Farben auf dem Boden markiert und zeigt den Verlauf der Sonne in dieser Zeitperiode an. Die direkten täglichen Lichteinfälle sind bei Sonnenschein während der Ausstellung im August morgens bis mittags sichtbar.
Ortsspezifische Arbeiten besonders stark
Gerade die ortsspezifischen Arbeiten sind im geilen Block stark. Das Künstlerkollektiv steffenschöni, bestehend aus Heidi Schöni und Karl Steffen, nutzen für ihre Arbeit «Flatland» kurzerhand den Linoleumboden im Raum als Druckplatte. Die Arbeit geht zurück auf eine Arbeitszeit (2012) im Projektraum der Galerie Adrian Bleisch in Arbon, die sich damals auch im ehemaligen Saurer Areal befand.
Dazwischen gab es auch immer wieder Installationen, die sich dafür stark machen, neben vielen ernsthaften Themen auch das Spielerische und Humorvolle nicht aus den Augen zu verlieren. Das Kollektiv CKÖ, Sara Widmer und Daniel Lütolf, zeigt mit dem Werktitel «WOBLS» bereits mit einem Augenzwinkern wohin die Reise geht. Sie zeigen eine Sammlung von fragilen Porzellanschalen, die vor dem Brennen durch ‚menschliche Interaktion‘ verformt wurden, teils unter tatkräftiger Hilfe ihres 3-jährigen Sohnes. WOBLS demonstriert Experimentierfreude und bricht mit dem Ideal von Perfektion, es schafft einen Raum für Leichtigkeit, den sich die Kunst gerade in diesen Tagen hart erkämpfen muss.
Ein Zeichen der Hoffnung
In den letzten Monaten sind Vernissagen eine Seltenheit geworden. Viele Ausstellungen mussten ausfallen oder sind verschoben worden, eine äusserst schwierige Situation für den Kulturbereich, die für die meisten Kulturschaffenden noch lange Folgen nach sich ziehen wird. In den Diskussionen über Systemrelevanz wurden Kulturschaffende selten erwähnt und mussten sich lange engagieren, um bei Hilfsmassnahmen bedacht zu werden. Die Branche wird noch lange brauchen, um sich von den Folgen zu erholen.
Umso mehr scheint die dritte Ausgabe des Geilen Blocks wie ein Zeichen der Hoffnung und fühlt sich wie eine Art Wiederbelebung an. In ihrer Eröffnungsrede erklärt Anita Zimmermann den Hintergrund ihrer Kunstfigur: “Laila Bock schafft Auftritte. Kunst tut den Menschen gut. Der geile Block soll nah sein bei den Menschen. Ich sage das, weil sie das nicht immer ist. Kunst steht allem Berechnenden gegenüber. Allen, die sich an Ordnung orientieren, wünsche ich Wirbelwind.”
(...) «Kunst steht allem Berechnenden gegenüber.
Allen, die sich an Ordnung orientieren, wünsche ich Wirbelwind.»
Leila Block, alias Anita Zimmermann
Laila Block wird auch gerne selbst als Wirbelwind bezeichnet und gerade diesen frischen Wind braucht die Kunst derzeit. Zwischennutzungen sind eine gute Möglichkeit, damit in Zeiten von horrenden Raummieten Kulturprojekte zumindest temporär stattfinden können, dazu braucht es mutige Macher und die volle Unterstützung der Kulturpolitik.
Der Geile Block kann noch bis zum 30. August jeweils Freitag bis Sonntag von 10 bis 22 Uhr besucht werden. Die Ausstellung wird von Führungen von Kuratoren der kantonalen Museen und bekannte KulturvermittlerInnen ergänzt. Ausserdem hat der Galerist Christian Roellin mit dem Format Schnörkel einen weiteren Punkt im Rahmenprogramm organisiert, der private Diskussionen und Einblicke verspricht.
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