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von Anabel Roque Rodríguez, 22.08.2019

Jetzt trifft es auch die Galerien

Jetzt trifft es auch die Galerien
Art Basel, 2019 | © Anabel Roque Rodriguez

Zwischen 2014 und 2018 musste fast die Hälfte der in der Schweiz ansässigen Galerien schliessen. Frisst der Kunstmarkt jetzt seine Kinder? Eine Recherchereise durch eine verschwiegene Welt.

Mit Galeristen über Erfolg zu sprechen ist einfach. Aber Galeristen zu einem Zeitpunkt zu kontaktieren, wenn sie geschlossen haben oder im Begriff sind sich zu verändern, ist eine ganz andere Nummer. Die Frustrationen sind in den Gesprächen spürbar. Für diesen Artikel habe ich mit etwa zehn Galeristinnen und Galeristen gesprochen, die meisten wollten nicht öffentlich genannt werden. Zu gross sind die Ängste sich Chancen zu verbauen. Alle Befragten waren sich einig, dass die Kunstwelt die Arbeit von Galerien unterschätzt und es allen Akteuren gut tun würde den Kunstmarkt nicht immer mit Rekordverkäufen gleichzusetzen.

Die Winterthurer Galeristin und Kuratorin Merly Knörle hat gemeinsam mit Anita Bättig über 8 Jahre ihre Galerie Knoerle & Baettig geführt und nun vor rund einem Monat die Schlüssel der Räumlichkeiten schweren Herzens abgegeben. Im gemeinsamen Gespräch reflektiert sie über die verschiedenen Gründe für das Galeriensterben kleiner Galerien: «1. Die Kosten, um eine Galerie zu betreiben sind gestiegen und es gibt leider ungenügende Einnahmen. Zu den gestiegenen Kosten gehören unter anderem regelmässige Messebeteiligungen. Künstler fragen inzwischen gezielt nach, wo man teilnimmt und man sieht inzwischen auf den Webseiten der meisten Galerien die Messeteilnahme als eigenen Punkt. Die Teilnahme ist für kleinere Galerien eine erhebliche Investition und leider selten kostendeckend. 2. Kleinere Galerien verkaufen eher im niedrigen 4-Stelligen Bereich und generieren damit zu wenig Einnahmen. 3. Es gibt eine ungesunde Marktkonzentration innerhalb der Galerien zugunsten der global player. Die Globalisierung des Marktes beeinflusst die Galeriearbeit. Die westliche Hegemonie geht zu Ende und stattdessen orientieren sich nun viele in Richtung des asiatischen Marktes, viele ohne die lokalen Bedürfnisse zu verstehen. 4. Kunst wird leider immer häufiger als Investment und für Rendite gekauft. Dieses Verhalten verändert wie gekauft wird, es werden kunsthistorisch abgesicherte Namen gekauft mit wenigen jungen Ausnahmen. Kleine Galerien werden so zu Versuchskaninchen, um neue Künstler zu etablieren, die an grössere Galerien abwandern, sobald sie mehr Erfolg haben.»

Joe Fletcher Orr, Galeria Sabot, Liste Basel, 2017. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Die Lage im Thurgau?

Erich Hausammann von der Galerie Kirchgasse in Steckborn sieht keine Notwendigkeit über einen lokalen Kunstmarkt im Thurgau zu sprechen. Eine Ansicht, die viele Galeristen in den Gesprächen teilen. Der Kunstmarkt ist international und die Einheit in Regionen zu denken zu einengend für den Markt. «Setzen wir uns die Grenzen nicht selbst!» Seine Galerie ist international vernetzt und er sieht sich durch die Nähe an die Landesgrenze im Dialog mit der Achse Zürich - Stuttgart - München und der Welt. «Wer nicht regional, sondern global denkt gehört zu den Gewinnern. Unser Auftritt ist nicht provinziell und so werden wir auch nicht als provinziell wahrgenommen.» Er glaubt fest daran, dass wenn die Qualität des Programmes stimmt und man den Gästen etwas bietet, die Besucher auch kommen, insbesondere auch Gäste von weiter weg. Ein optimistischer Ansatz, dem nicht alle Galeristen in den Gesprächen zustimmen. Für Erich Hausammann zahlt sich der internationale Ansatz aber aus: «Wir können nicht klagen, das Museumspublikum kommt bei uns regelmässig vorbei. Man muss immer reflektieren, das habe ich zu meiner Unternehmerzeit gelernt».

Im Art Market Report 2019, der von der Art Basel und UBS herausgegeben und von Clare McAndrew zusammengestellt wird, zeigt sich dass sich die Anteile des Kunstmarktes schon längst international auf die USA, Grossbritannien und China verlagert haben, der Schweizer Kunstmarkt kommt gerade Mal auf 2 Prozent Marktanteil. Die Situation sieht anders aus, wenn man sich die Nationalität der Käufer in der Studie ansieht, so machen Schweizer Sammler immerhin 8 Prozent aus. Es scheint also, dass Sammler gerne ausserhalb der Schweiz kaufen.

Marktanteile

Nationalitäten der Käufer

 

Auch Widmertheodoridis mussten schliessen

Es ist eine Herausforderung für kleinere und mittelständische Galerien den Spagat zwischen Regionalität und internationalem Auftritt zu schaffen. Die Galeristen in den Gesprächen berichten, dass es schwierig ist dem lokalen Publikum mit regionalen Künstlern zu begegnen, da die Verkäufe dabei oft kaum die Kosten tragen und gutes Publikum eher mit international starken Namen in die Galerie gelockt wird. Eine Erfahrung, die die Galerie WidmerTheodoridis teilt. Die Galeristen haben trotz starker Vernetzung im Thurgau und in Zürich den Sprung in die Peripherie –  von Zürich nach Eschlikon –  nicht überdauern können und mussten ihre Galerie schliessen. Gemäss dem Jahresbericht 2018 des Verbandes Kunstmarkt Schweiz mussten zwischen 2014 und 2018 50 Galerien in der Schweiz schliessen, eine signifikante Zahl, wenn man berücksichtigt, dass der Verband davon ausgeht, dass es in der Schweiz 100 bis 120 professionell arbeitende Kunstgalerien gibt, die zum Primärmarkt gehören.

Programmgalerien, also Galerien mit dem Schwerpunkt auf bestimmte künstlerische Positionen, soziale Fragen oder theoretische Ansätze können sich nur noch schwer halten und wandeln sich immer häufiger zu Off-Spaces, mit flexiblen Öffnungszeiten und oft ohne feste Räume. Diese Entwicklung verändert die Möglichkeit der Professionalisierung für junge und unbekanntere Künstler, die immer schwerer eine Galerienrepräsentation in der Schweiz finden. Das Wegbrechen kleinerer Galerien hat auch zur Folge, dass es weniger Kontinuität bei der Begleitung von Künstlern gibt.

Schluss nach 5 Jahren: Die Galerie widmertheodoridis hat den Thurgau im Frühjahr verlassen. Bild: zVg

 

Der Kunstmarkt ist komplexer als Millionenverkäufe

Die ArtReview-Power100-Liste der einflussreichsten Personen der Kunstwelt wird 2018 vom Galeristen David Zwirner angeführt. Seine begleitende Beschreibung in der Liste bezeichnet ihn als «head of an expanding New York, London und Hong Kong gallery empire». Die Bezeichnung «empire» beschreibt symptomatisch den kompetitiven Kunstmarkt: die grossen Galerien verändern sich in ihrem Geschäftsmodell und nehmen mehr Raum in der Kunstwelt ein, während kleinere Galerien kaum noch ihre Kosten decken können, obwohl ihre Arbeit für ein gesundes Kunstmarkt-Ökosystem essentiell ist.
Die Berichterstattung über den Kunstmarkt konzentriert sich in weiten Teilen auf die Verkäufe im Auktionswesen oder die Mega-Verkäufe auf den Messen, dabei sind diese Zahlen eher eine Ausnahme und zeichnen ein falsches Bild des Kunstmarktes.

In den Gesprächen für diesen Artikel zeigt sich, dass viele der Galeristen zwiegespalten gegenüber dem Begriff kommerziell sind, denn er wird schnell mit Profit und inhaltsleer gesetzt. Viele GaleristInnen werden mit dem Vorwurf konfrontiert, dass konzeptuelle Arbeit und Profit sich ausschliessen und Galerien damit per se keine nachhaltige wissenschaftliche und kuratorische Arbeit leisten. Im Englischen gibt es dafür den Begriff «sellout» den sich Kreativschaffende anhören müssen, wenn sie versuchen mit ihren künstlerischen Arbeiten finanziell zu wirtschaften und ihnen zum Vorwurf gemacht wird, dass Profit und Ideale nicht zusammengehen. Dabei sieht die Realität anders aus, denn Geld wird zu einem Machtfaktor, der Unabhängigkeit und Zeit kauft.

Warum das klassische Galeriemodell nicht mehr funktioniert

Isabel Balzer leitet seit 2015 ihre Galerie balzer projects in Basel. Die Galeristin und Kuratorin ist gut mit den Galeristen Jordanis Theodoridis und Werner Widmer befreundet. Ihre Arbeit ist stark konzeptuell und kuratorisch – ein Prinzip, dass sich nicht immer leicht mit dem Galerienmodell verbinden lässt – nun hat sie sich entschlossen ihre Galerie zum Ende des Jahres in einen Off-Space zu überführen. «Heutzutage funktioniert das angestammte Galeriemodell nicht mehr so, wie vor der grossen Krise in 2008.  Der Neoliberalismus hat die Kunstwelt komplett eingenommen und es gibt keinen Platz mehr für kleine Galerien, die KünstlerInnen betreuen, aufbauen, international zeigen, vernetzen und vor allen Dingen mit ihnen gemeinsam Ausstellungen kuratieren. Kunstwerke sind zu Investitionsobjekten mutiert; der Kunstmarkt ist nicht grundsätzlich anders als der Immobilienmarkt. Das alte Galeriemodel mit anspruchsvollen Ausstellungen wäre nur noch mit finanzieller Unterstützung möglich und die kommt nicht. Warum auch?  Es gibt ja immer noch Galerien, die funktionieren. Ich werde das Modell “Off-Space” oder Projektraum ausprobieren. Allerdings werde ich dort keine KünstlerInnen vertreten können. Die Galerie wird weiter im Exil operieren, vielleicht über “Gast-Ausstellungen” und Kollaborationen. Wir werden es sehen.»

Der Wert der Galerie-Arbeit

In den Gesprächen mit den GaleristInnen zeigt sich ein Muster: Galeriearbeit wird von Institutionen zu wenig anerkannt. Einige der Galeristen erzählen von Versuchen nach der Selbstständigkeit eine Anstellung in Museen zu finden und überraschend mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, dass sie zu wenig Erfahrung hätten: trotz erheblichen Kenntnissen im Publizieren, breiten Netzwerken und kuratorischer Erfahrung – der Kunstmarkt ist eben nicht die Museumswelt.

In den Gesprächen ist allen bewusst, dass das Geschäftsmodell Galerie bedeutet ein kleines Unternehmen zu gründen, aber dennoch viel unbezahlte Vermittlungsarbeit geleistet wird. Gerade weil Galerien einen Zwischenraum zwischen Markt und Bildung einnehmen, würden sich viele Galeristen wünschen, dass bestimmte freiere Projekte unterstützt werden.

Wenig Wertschätzung von institutioneller Seite

«Mich ärgert, dass viele die Aufgaben einer professionellen Galerie unterschätzen und denken es geht ausschliesslich um Verkäufe, äussert sich Merly Knoerle.  «Aber eine Galerie übernimmt so viel mehr Aufgaben: Artist Liaison, Kunstvermittlung und die Organisation von Ausstellungen sowie Projekten. Galerien sind eine wichtige Schnittstelle zwischen dem Lokalen und Internationalen. Es gibt in der Schweiz wenig Wertschätzung von institutioneller Seite für Galerien und stattdessen eine falsche Meinung was Galerie, Off-Space und kommerziell bedeutet. Wenn man sich für das Geschäftsmodell unabhängige, kommerzielle Galerie entscheidet bekommt man keine Hilfen, das war uns bewusst, dafür entscheidet man sich für ein freies Ausstellungsprogramm, das sich selbst finanziert. Off-Spaces werden subventioniert, sind aber meist daran gebunden nur regionale Künstler zu zeigen. Die Grenze zwischen Off-Space und Galerien ist eigentlich viel fliessender und wird nur durch das Wort kommerziell plötzlich unüberbrückbar.»

Über Transparenz und Solidarität

Kulturarbeit benötigt angemessene Arbeitsbedingungen und dazu gehört ein angemessenes Honorar. Leider wird zu wenig öffentlich über Honorare und finanzielle Situationen im Kultursektor gesprochen. In den USA sorgte im Mai diesen Jahres ein Dokument für grossen Wirbel in der Kunstwelt. Michelle Millar Fisher, Kuratorin für Contemporary Decorative Arts am Museum of Fine Arts in Boston, hat ein anonymes Google-Dokument angelegt in dem Kulturschaffende ihr Honorar eintragen können. Transparenz und Vergleichbarkeit sollen so für bessere Verhandlungsgrundlagen in der Kunstwelt sorgen. Galeristen sind als Selbstständige natürlich etwas anderen Arbeitsbedingungen unterworfen. Dennoch wäre es sicherlich hilfreich auch hier für mehr Transparenz zu sorgen.

«In der Schweiz geht es viel um Geld, aber die Wenigsten reden offen darüber», fasst Merly Knoerle die Situation zusammen. «Die institutionell-museale Seite und der Kunstmarkt sind in der Schweiz völlig getrennt. Das ist in anderen Ländern anders. Der Schweizer Kunstmarkt macht sich, wenn es so weiter geht kaputt und junge Künstler werden hier bald keine Galerienrepräsentation finden. Wenn ich von Hilfen spreche, rede ich nicht von monetärer Hilfe, sondern von einer Wertschätzung. Wir haben in unserer Galerie nie Besuch von musealer Seite gehabt. Das hat sich erst geändert als Konrad Bitterli Direktor vom Kunstmuseum Winterthur wurde. Zum ersten Mal in über siebeneinhalb Jahren unseres Bestehens hat uns jemand von musealer Seite besucht.»

Wie wäre es mit etwas mehr Solidarität in der Szene?

Um Dinge ändern zu können, muss man Transparenz schaffen. Der Kunstwelt würde etwas mehr Solidarität gut tun, um die Strukturen zu verbessern und mehr Nachhaltigkeit in den Markt zu bringen. Immerhin scheint langsam das Bewusstsein innerhalb des Marktes zu wachsen, dass kleinere Galerien wichtig für die Balance innerhalb des Kunst-Ökosystems sind. Es ist zwar ungesund daran zu glauben, dass sich der Markt zugunsten einer Balance selbst reguliert, aber die angespannte Lage kleinerer Galerien ist auch im Top-Segment angekommen. Der Galerist David Zwirner sprach sich in einem Interview für das neue Preismodell auf der Art Basel aus. Beginnend mit der Art Basel 2019 in Basel, wird ein sliding-scale pricing model an allen drei Messeorten eingeführt, das Galerien mit kleineren Kojen begünstigt und so in der Regel jüngere oder kleinere Galerien finanziell etwas entlastet. Es ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein und es bleibt zu hoffen, dass weitere Initiativen folgen. Die Zukunft des Kunstmarktes entscheidet sich nicht nur an der Spitze, sondern wird essentiell vom kleineren Unterbau mitgetragen.

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