von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 12.12.2017
Raus aus der Nische
Seit diesem Sommer leitet die Buchhändlerin und Kantonsrätin Marianne Sax das Literaturhaus in Gottlieben. Die Nische ist ihre Sache nicht, sie setzt auf bekannte Namen und Texte
Wer sich mit Marianne Sax unterhalten will, der muss ein wenig Geduld haben. Die 53-jährige Buchhändlerin und SP-Kantonsrätin hält es selten lange auf einem Stuhl. Es gibt immer irgendetwas, das sie aufspringen lässt: Zum Beispiel das Telefon abnehmen, einen Kunden bedienen, einen Prospekt aus dem Lager holen. So was. Die Frau wirkt wie unter Dauerstrom. Dabei gäbe es doch durchaus etwas zu reden: Seit etwa einem halben Jahr hat Marianne Sax neben all ihren anderen Engagements eine neue Aufgabe - sie ist Programmleiterin beim Bodmanhaus in Gottlieben. Das Literaturhaus am Bodensee hatte in den vergangenen Jahren immer mal wieder Wechsel an der Spitze des Hauses. Nun hat die Thurgauische Bodman-Stiftung, die hinter dem Ganzen steht, die Leitung zunächst mal für drei Jahre an die Frauenfelder Buchhändlerin übertragen.
Im März 2016 sei sie angefragt worden für diese Position, erzählt Sax. „Für mich war schnell klar, dass ich es machen möchte. Die Aufgabe passt zu mir“, ist die 53-Jährige überzeugt. Tatsächlich ist diese Personalie vor allem für das Bodmanhaus ein Coup. Acht Jahre (bis 2016) war sie Präsidentin des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes, kaum jemand in der Ostschweiz hat ähnlich gute Kontakte in die deutschsprachige Literatur- und Verlagswelt wie Marianne Sax. Dem Bodmanhaus im verträumt-musealen Gottlieben kann das nur guttun. Weil so Autorinnen und Autoren ins Programm kommen, die sonst wohl eher einen Bogen um das kleine Dorf am Bodensee gemacht hätten. In den ersten Monaten ihres Engagements hat das schon ganz gut geklappt: Mit Urs Faes und Julia Weber waren zwei Schriftsteller zu Gast, deren Namen auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises standen. Peter von Matt las ebenfalls vor ausverkauftem Saal und Lukas Bärfüss stellte seinen Roman „Hagard“ vor. Kurz darauf nahm er in einem Beitrag für die FAZ den Schweizer Buchpreis auseinander und lieferte nationalen Gesprächsstoff.
Auch die Lyrik soll ihren Platz behalten bedürfen
In der Form kann es für Marianne Sax weitergehen. Fragt man sie danach, welches Profil sie dem Bodmanhaus geben wolle, sagt sie offen: „Es geht natürlich auch um Verkäuflichkeit. Klar, manchmal braucht man auch die Nische, aber grundsätzlich will ich schon möglichst viele Menschen erreichen.“ Bis zu 24 Veranstaltungen pro Jahr sind zunächst vereinbart, wenn es nach Sax geht, könnten es aber auch mehr werden. Die Programmleiterin wird für ihre Arbeit bezahlt und bei den Lesungen im Literaturhaus übernimmt Sax’ Buchhandlung den Verkauf der Bücher. „Die Einnahmen bei diesen Veranstaltungen sind kaum der Rede wert. Wir machen es, weil es eben dazu gehört“, so Sax. Bei der Auswahl des Programms achtet die 53-Jährige vor allem auf zwei Dinge: Entweder sollte der Autor, die Autorin oder zumindest der Text bekannt sein. Und „Es muss mir gefallen“, sagt Sax. Sie wolle zudem alle Sparten der Literatur abdecken, auch die Lyrik solle einen Platz behalten. Bei den eingeladenen Autoren soll das Geschlechterverhältnis ausgeglichen sein, das heisst es sollen nach Möglichkeit ebenso viele Schriftstellerinnen wie Schriftsteller auf dem Podium sitzen dürfen.
Das Bodmanhaus in Gottlieben. Bild Brigitta Hochuli
Regionalität ist für sie hingegen kein Kriterium: „Nur aus dem Thurgau zu sein, reicht nicht aus, um im Literaturhaus lesen zu dürfen“, sagt Sax streng. Ihr geht es dabei vor allem um die Vermeidung eines provinziellen Anstrichs. Das Gottlieber Literaturhaus soll sich schliesslich nicht hinter seinen Pendants in Zürich und Basel verstecken müssen. Um aber trotzdem der Region Rechnung zu tragen, plant Marianne Sax ab dem nächsten Jahr eine Matinee-Reihe, bei der auch weniger bekannte Autorinnen und Autoren aus dem Thurgau eine Chance bekommen sollen. "Gute Bücher, die Qualität haben, wollen wir in diesem Rahmen vorstellen", erklärt Marianne Sax.
Das Bodmanhaus
Das heute sogenannte Bodmanhaus in Gottlieben ist ein ehemaliges Handelshaus, das Emanuel von Bodman und Clara von Bodman im Jahr 1920 bezogen. Emanuel von Bodman war ein deutscher Schriftsteller, der als Kind in Kreuzlingen lebte. Nach seinem Studium in Zürich, München, und Berlin wählte er das schweizerische Gottlieben als Wahlheimat. Von Bodman schrieb mehrere Dramen, Erzählungen und Hunderte von Gedichten; sein Gesamtwerk wurde nach seinem Tode 1946 in einer zehnbändigen Gesamtausgabe publiziert. Nach dem Tod von Clara von Bodman im Jahr 1982 verfiel das Haus in Gottlieben zusehends. Ziel der Thurgauischen Bodman-Stiftung war und ist es, das Haus als lebendige Gedenk- und Begegnungsstätte zu erhalten. Heute wird die Thurgauische Bodman-Stiftung von einer breiten Öffentlichkeit getragen, denn die Stiftungsstruktur berücksichtigt sympathisierende Freunde ebenso wie finanzkräftige Gönner aus der interessierten Wirtschaft, aus der Politik oder aus einer Vielzahl internationaler Wissenschafts- und Kulturinstitute.
Aktuell besteht die Stiftung aus über 300 Mitgliedern und Gönnern. Sie haben einen Betrag von 2'400'000 Franken zusammengebracht. Als Literaturhaus ist das Bodmanhaus am 8. April 2000 eröffnet worden. Finanziell unterstützt wird das Haus sowohl vom Kulturamt des Kantons Thurgau als auch von der Kulturstiftung des Kantons. Mit dem Kanton gibt es eine Leistungsvereinbarung für das Literaturprogramm. Die Kulturstiftung unterstützt den Stipendiaten/die Stipendiatin und veranstaltet selber ein- oder zweimal pro Jahr eine Lesung.
Mehr zur Geschichte des Bodmanhauses gibt es hier
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