von Maria Schorpp, 25.03.2020
Sehnsuchtspunkte
Markus Keller hat als Musiker und Schauspieler begonnen, um im Laufe seines beruflichen Lebens zum Multitasker zu werden. Eine Geschichte davon, wie alle Wege irgendwie nach Rom führen.
Inszenierungen wie „Der Held der westlichen Welt“ in der Frauenfelder Theaterwerkstatt Gleis 5 sind für Markus Keller genau das, was er sich künstlerisch wünscht. Ende vergangenen Jahres spielte er im Stück von John Millington Synge den versoffenen Kneipenwirt Flaherty. „Ich hab dabei viel Spass gehabt“, sagt er im Nachhinein.
Theaterspielen, das ist einer der „Sehnsuchtspunkte in meiner beruflichen Biografie“. Anfang und Ende quasi. Aber statt wie das Wasser in einem begradigten Flussbett einem klaren Ziel entgegenzufliessen, hat Markus Kellers „berufliche Biografie“ immer wieder Abzweigungen genommen. Statt klassischer Theatermacher ist aus dem Frauenfelder im Laufe der Jahre eine Art multitaskender Kunst- und Kulturschaffender geworden.
„Ich habe ganz viel Handwerk gelernt, von dem ich heute noch profitiere.“
Markus Keller, über sein Theaterpädagogik-Studium
Dass Markus Keller seinen Traum Theater recht pragmatisch angegangen ist, zeugt von einer Unbedingtheit, die immer wieder Wege zum Ziel findet. Eigentlich hätte er eine Ausbildung als Schauspieler machen wollen. Als er den Entschluss fasste, seinen sicheren Lehrerjob aufzugeben, um in eine höchst unsichere Theaterexistenz zu wechseln, war er 24 und für eine reine Schauspielerlaufbahn, die nach dem Studium erst anheben sollte, schon zu alt. Also begann er, auf der Zürcher Hochschule der Künste Theaterpädagogik zu studieren. Danach folgte, was er heute „meine wunderbare Ausbildung“ nennt. „Ich habe ganz viel Handwerk gelernt, von dem ich heute noch profitiere.“
Als es später hiess, Theaterpädagogen hätten nichts auf der Bühne verloren, machten sie es trotzdem, er und seine Mitstudenten. Als Abschlussarbeit gingen sie mit dem „Theater zur letzten Runde“ auf Tournee in Schweizer Kneipen. „Eine wichtige Arbeit, um danach weiterzumachen und dranzubleiben.“
Video: arttv.ch über die Produktion «Der Held der westlichen Welt»
Musik gehört für ihn schon immer zum Leben dazu
Die Frauenfelder Inszenierung des irischen Stücks „Der Held der westlichen Welt“ war auch deshalb so willkommen, weil sie einer weiteren künstlerischen Existenzgrundlage des Markus Keller stark entgegenkam: Mit den irischen Folksongs, die das Publikum in der Theaterwerkstatt zum Schwingen brachte, kam die Musik ins Spiel. Musik hat Markus Keller, der in Herrenhof, nahe Altnau, aufgewachsen ist, „schon immer“ gemacht. Theater auch. So etwas sagt man, wenn man sich ein Leben ohne überhaupt nicht vorstellen kann. In der Jugendmusik Kreuzlingen hat er als Junge acht Jahre Posaune gespielt.
Bei dem Blasinstrument blieb es jedoch nicht. Hinzukamen Klavier, Kontrabass und Gitarre. Den Gesang nicht zu vergessen. Wie es sich eben ergeben hat. Sogar eine Mundart-Liedermacher-Phase hat er ausprobiert. Klingt wie ein Geständnis, wenn er das sagt. Dann viel gespielt, viel inszeniert und viel Musik gemacht: in Luzern, Schaffhausen, Weinfelden, Frauenfeld.
Video: Markus Keller und das Glauser Quintett
Mit dem Glauser Quintett probt er jetzt auch Peter-Stamm-Geschichten
Das „Glauser Quintett“, mit dem er und seine Mitspieler seit fast zehn Jahren durch die Lande ziehen, vereint diese beiden Hauptausdrucksformen des Markus Keller – die Schauspielerei und die Musik. Fünf der musikalischen Lesungen sind bis heute entstanden, angefangen mit Erzählungen von Friedrich Glauser, von dem das Quintett seinen Namen entliehen hat.
Inzwischen sind Texte anderer Schweizer Autoren dazugekommen, derzeit proben sie mit zwei Kurzgeschichten von Peter Stamm eine weitere musikalische Lesung, die im kommenden September Premiere haben soll. So genau weiss man das in diesen Zeiten ja nicht. Zu seinen Instrumenten gehört hier auch seine Stimme, die nicht einfach erzählt, sondern sich mit der Musik ins Verhältnis setzt. „Die Texte müssen Raum zwischen den Zeilen haben, damit die Musik Platz hat“, sagt er. Und das Kopfkino zu flimmern beginnt.
„Ich krieg von den Museen immer wieder klasse Geschichten geschenkt.“
Markus Keller über seine Zusammenarbeit mit Museen
Markus Keller hat sich irgendwann, genauer: anlässlich der Familiengründung, ein Lebenskonzept zurechtgelegt. „Vom Stand- zum Spielbein“ nennt er es. Geholfen haben ihm dabei nicht nur Jobs als Lehrer oder eine Anstellung bei der Stadt Winterthur, wo er die Theaterpädagogik koordiniert.
Für eine entscheidende neue Wendung in seinem künstlerischen Schaffen hat der Zufall Anfang der 2000er Jahre nachgeholfen, der dafür sorgte, dass zwei Ereignisse zusammentrafen: zum einen eine Förderung durch den Kanton Thurgau, die ihm beim Aufbau eines Tonstudios half, in dem er Theatermusik produzieren wollte. Was er auch tat.
Ein Hörspiel über die Evolutionstheorie wird bei ihm zum Kleinod
Und zum anderen die Anfrage von Hannes Geisser, dem Direktor des Naturmuseums Thurgau, ob er nicht einen Audio-Guide für die Ausstellung zum Thema Evolutionslehre produzieren möchte. Entstanden sind dann fünf kleine Hörspiele, in denen der alte Darwin mit seinem Enkel in x-ter Generation durchs Frauenfelder Museum geht und sie über so Sachen wie Genetik sprechen. Kleinode, alle im eigenen Tonstudio entstanden, die heute noch durch die Dauerausstellung führen. Fazit: „Das war zwei Jahre lang eine unglaubliche tolle Arbeit.“
Das Ergebnis hat sich rumgesprochen. Für das Thurgauer Departement für Bau und Umwelt hat er Audio-Guides zu Siedlungsentwicklungsprojekten produziert. Zusammenarbeiten mit dem Landesmuseum Zürich und vielen Thurgauer Einrichtungen folgten. Zuletzt war er am Thunersee für ein neues Projekt, derzeit läuft eines mit dem Münzkabinett in Winterthur.
„Ich krieg von den Museen immer wieder klasse Geschichten geschenkt“, sagt Markus Keller und macht keinen Unterschied, ob es eine Geschichte von Alexander dem Grossen ist oder die einer Museumsdirektorin, die für ihre Arbeit brennt. Wenn man ihm zuhört, könnte man zur Überzeugung kommen, dass die Arbeit mit den Museen in der Beliebtheitsskala des Markus Keller nahezu den Wert der Theaterarbeit erreicht hat.
Video: Trailer zur Wochenschau KellerSchuran
Gerade arbeitet er an einer Lesung für das Theaterhaus Thurgau
Das Spiel- und das Standbein scheinen auf die Dauer nicht mehr richtig unterscheidbar zu sein. Die theatrale Wochenschau „KellerSchuran“, mit der er zusammen mit Uwe Schuran immer wieder Figuren, „die sich in die Öffentlichkeit gedrängt haben“ in fiktive Geschichten verwickelt hat, sein Aufenthalt vor ein paar Jahren in Buenos Aires, wo er der aus dem Tessin stammenden Lyrikerin Alfonsina Storni nachforschte, die Lesung, die er gerade für das Theaterhaus Thurgau mit einem Text des Vorarlberger Landesdichters Franz Michael Felder aus dem Jahr 1850 vorbereitet hat – Spiel- oder Standbein? Und Randolina gibt es auch noch, das Trio, mit dem er Musik aus dem Balkan und Osteuropa macht.
Da ist im Laufe des künstlerischen Lebens des Markus Keller etliches zusammen- und, was das Stand- und Spielbein betrifft, wohl das eine oder andere Mal bis zur Unidentifizierbarkeit durcheinandergekommen. Markus Keller lebt seine Talente in ihrer ganzen Breite aus. Vielleicht braucht man einfach einen Sehnsuchtspunkt – zur Orientierung im mäandernden Fluss des Lebens.
Von Maria Schorpp
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