von Inka Grabowsky, 26.04.2023
Wie wir wurden, was wir sind
Ein gewaltiges Projekt: Der Thurgauer Komponist David Lang hat das Musical «Zeppelin» geschrieben, der Verein Symphonische Kulturevents will es im Dezember in Kreuzlingen auf die Bühne bringen. Das Stück wird anders, als der Titel vermuten lässt. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Angefangen hat alles vor zehn Jahren mit dem Wunsch des Symphonischen Blasorchesters Kreuzlingen, sich von einer neuen Seite zu zeigen. Die Musiker und Musikerinnen wollten unter Beweis stellen, dass sie auch Teil einer Grossproduktion sein können.
Sie stellten sich deshalb 2013 in den Dienst des Musicals «Saga Tenebra». 2017 folgte «Gotthelf – das Musical», das zuvor bei den Thuner Festspielen gelaufen war.
Für die Produktion 2023 wollte der Verein «Symphonische Kulturevents» als Veranstalter etwas aus der Region für die Region schaffen und engagierte deshalb den Autor und Komponisten David Lang aus Mammern, ein Musical für den Kreuzlinger Dreispitz zu schaffen.
Zeppelinstadt ist der Schauplatz
«Es war ein Glück, als vor zwei Jahren das Mail mit der Anfrage ankam», sagt der erfahrene Musiker. Eine Themenidee lieferten ihm die Auftraggeber gleich mit. Der Zeppelin, der jeden Sommer über den Bodensee fliegt, sollte eine Rolle spielen.
«Ich vermute, ursprünglich war ein historisches Stück über den Grafen Zeppelin angedacht, aber ich bekam freie Hand. Und deshalb spielt mein Stück im Heute. Es zeigt die Geschehnisse in der fiktiven Zeppelinstadt, die sich den Erfinder zum Schutzpatron erkoren hat, nachdem er hier einmal Station gemacht hatte.»
Lokales Thema mit gesellschaftspolitischen Aspekten
Im Mittelpunkt der Handlung steht die gehörlose junge Emma. Ihr Vater sieht sich verantwortlich für ihre Beeinträchtigung, weil er für ein Feuerwerk zuständig war, das am falschen Ort und zur falschen Zeit explodierte. Seitdem ist er übervorsichtig, organisiert aber weiter das Stadtfest zu Ehren von Ferdinand von Zeppelin. Damit nicht wieder ein Unglück geschieht, stellt er eine grosse Verbotstafel auf.
Seine Tochter Emma hat eine vollkommen andere Lebenseinstellung und wandelt die Verbote in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in Gebote um. Der Stadtfest verläuft daraufhin chaotisch, aber lustig. Der Vater sieht Zeppelinstadt im Wettbewerb um «Die sympathischste Stadt der Schweiz» verlieren und seine Aussicht darauf, Stadtpräsident zu werden, bachab gehen.
Zwischen Komik und Tragik
Regisseurin Barbara Tacchini freut sich, dass sie schon früh in die Planungen miteinbezogen wurde. «Ich konnte meine Erfahrung als Dramaturgin bereits in das Konzept einbringen», sagt die 59-Jährige aus Sommeri.
Sie schätzt besonders den Inhalt: «Es sind ernste, tiefe und tragische Geschichten, die man nicht unbedingt bei einem Musical erwartet.»
Zwar gibt es die obligate Liebesgeschichte, aber gleichzeitig geht es um die Frage, was Menschen prägt. «Natürlich kann man über den übervorsichtigen Stapi-Kandidaten lachen, aber wir erklären eben, wie er zu einem Sicherheitsfanatiker geworden ist. Und indem sich unsere Zeppelinstadt um den Titel der sympathischsten Stadt der Schweiz bewirbt, stellen wir automatisch die Frage, was eine Stadt liebenswert macht.»
Inklusion auf und vor der Bühne
Eine spezielle Situation entsteht durch die Gehörlosigkeit der Hauptfigur. Für das Musical ist wichtig, dass sie singt und spricht. Die Rolle wird also von einer hörenden professionellen Darstellerin übernommen. «Ich möchte aber eine gehörlose Figur auf der Bühne habe, die gebärdet, was Emma empfindet. Sie stellt quasi die Seele Emmas dar.»
Pro Infirmis und Hörbehinderten-Verbände berieten und stellten Kontakte her. Das Casting läuft – und noch ist nicht sicher, ob diese Figur von einem Mann oder einer Frau besetzt wird. «Die innere Stimme Emmas könnte sowohl männlich als auch weiblich sein», so Tacchini.
Nach den Gesprächen mit Gehörlosen-Organisationen wurde klar, dass die Community die Vorstellung gern besuchen würde. Der Verein «Symphonische Kulturevents» wird deshalb an ein oder zwei Vorstellungen Gebärden-Dolmetscher engagieren, die jedes gesprochene Wort übersetzen und die Musik beschreiben.
Musik, Schauspiel und Turneinlagen
David Lang hat zunächst seine Geschichte geschrieben und dann überlegt, welche Musik dazu passt. «Ich habe schon viel komponiert, aber noch nie für ein symphonisches Blasorchester. In die Musikfarbe der Instrumente musste ich mich zunächst hineindenken.»
Entstanden ist eine Mischung aus Klassik, Pop, Funk und Hip-Hop mit Ausflügen in die zwanziger Jahre und Blaskapellen-Anteilen: «Wenn der Kantonsrat Zeppelinstadt besucht, dann muss natürlich das Thurgauerlied erklingen», so Lang.
Als Berater des Komponisten hatte sich Stefan Roth zur Verfügung gestellt, der die musikalische Leitung des Gesamtprojekts übernommen hat. «Aber ich wurde kaum gebraucht», lacht er. Entscheidend war aber sein Wissen um die Stärken des Orchesters. «Er weiss, welche Instrumentengruppe was leisten kann», sagt Lang. Roth, frisch gebackener Thurgauer Kulturpreisträger, wird einmal mehr nicht nur das Symphonische Blasorchester Kreuzlingen dirigieren, sondern auch den sechs Profi-Solisten und dem Chor Amazonas ihre Einsätze geben.
Zusätzlich ist noch die Gymnastikgruppe zu koordinieren, die mit Turneinlagen die «Zeppelinstadt» beleben wird. Im Ganzen werden an den sieben Vorstellungen rund 120 Darstellende für je 480 Zuschauer singen, tanzen und musizieren.
Ein Budget von einer halben Million
Das eigens komponierte Musical auf die Bühne zu bringen ist aufwändig und teuer. Projektleiter Christian Schärer rechnet mit einem Budget von fast einer halben Million Franken, um ein professionelles Umfeld für die Amateure aus Orchester und Chor zu schaffen. «Wir sind darauf angewiesen, dass möglichst alle Tickets verkauft werden», sagt er.
Eine Basis für die Finanzierung haben Sponsoren aus diversen Stiftungen gelegt. Der Lotteriefonds des Kantons unterstütztebenso wie etwa das Migros Kulturprozent oder der Kulturpool. Zu den Förderern zählen die Gemeinde Bottighofen und die Stadt Kreuzlingen.
«Und das, obwohl unsere Zeppelinstadt wirklich nicht nach dem Vorbild von Kreuzlingen modelliert ist», so Christian Schärer mit einem Lächeln. «Auch unser StaPi-Kandidat hat keine Ähnlichkeit mit lebenden Personen.»
Termine & Tickets
Die Aufführungen werden am 13., 15., 16., 21., 22., 30. und 31. Dezember stattfinden. Tickets für 53 bis 95 Franken kann man schon jetzt vorbestellen: https://zeppelin.sbo-kreuzlingen.ch/auffuhrungen
Von Inka Grabowsky
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