von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 05.03.2020
«Wir wollen freien Eintritt in allen Museen ermöglichen»
Grossratswahlen 2020 im Thurgau. Die Parteien im Kulturcheck. Die SP will Kultur in allen politischen Bereichen mitdenken und die Vielfalt des Thurgauer Kulturlebens erhalten. Das Kunstmuseum soll in der Kartause bleiben, in Sachen Standort des Historischen Museums sind sich die Sozialdemokraten noch nicht einig. Die SP hat aktuell 17 Sitze im Grossen Rat.
Welches sind die aus Ihrer Sicht wichtigsten Kultur-Projekte der neuen Legislatur?
Die wichtigsten Projekte der kommenden Legislatur sind die Sanierung und Erweiterung des Kunstmuseums in Ittingen, die Umsetzung der Museumsstrategie und des Kulturkonzeptes, die Unterstützung der Kulturpools und eng damit verbunden die Kulturförderung in den Regionen und Gemeinden, die bessere Vernetzung und das Erarbeiten von unkomplizierten Kommunikationsplattformen für die kleineren Kulturanbieter im ganzen Kanton, die Klärung des Museumsstandortes des Historischen Museums und allenfalls auch die Realisierung eines Neubaus, die Förderung der Kulturvermittlung auf allen Bildungsstufen und Altersklassen.
Welche Schwerpunkte wollen Sie in den kommenden Jahren in der Kulturpolitik setzen?
Unsere politischen Schwerpunkte im Bereich Kultur liegen in der Realisierung der Museumsprojekte sowie dem Ausbau und Erhalt der kantonalen Kulturförderung. Weiter werden wir uns dafür einsetzen, dass die finanzielle Grundlage für thurgaukultur.ch langfristig gesichert wird, dass die Fördermittel für das Kulturamt und die Kulturstiftung erhalten und ausgebaut werden können, dass die Arbeitsbedingungen für Kulturschaffende verbessert werden (Löhne, Renten, allgemeine Unterstützung), dass kleinere und ehrenamtliche Kulturprojekte erhalten bleiben (bessere Förderung und Unterstützung, Professionalisierung), dass die Zugänglichkeit von Kultur und kultureller Bildung für alle gewährleisten ist, dass Kultur in allen politischen Bereichen konsequent mitgedacht wird und dass die Vielfalt erhalten bleibt.
«Über den zukünftigen Standort des Historischen Museums herrscht innerhalb der SP derzeit keine Einigkeit.»
SP Thurgau
Wo soll das Historische Museum Thurgau künftig beheimatet sein?
Dass das Historische Museum mehr Platz benötigt, ist unbestritten. Über den zukünftigen Standort des Historischen Museums herrscht innerhalb der SP derzeit keine Einigkeit, diese Frage wird noch rege diskutiert. Einige bevorzugen Frauenfeld (jetziger Standort und/oder Neubau auf dem Kasernenareal), andere setzen sich aktiv für Arbon ein und eine dritte Gruppe hält eine dezentrale Lösung für prüfenswert (zum Beispiel Industriegeschichte in Arbon, Verkehrsgeschichte in Romanshorn, ländliches Erbe in St. Katharinental, Mittelalter im Schloss Frauenfeld).
Wie sieht Ihre Vision für das Kunstmuseum Thurgau aus?
Visionär sind unsere Pläne für das Kunstmuseum Thurgau wahrscheinlich nicht. Uns ist es viel mehr ein zentrales Anliegen, dass es am Standort Ittingen vorwärtsgeht. Die Sanierung der bestehenden Räumlichkeiten und der Erweiterungsbau müssen endlich angegangen werden. Trotz der erschwerten Ausstellungsbedingungen ist das Kunstmuseum nämlich ein über die Kantonsgrenzen hinaus bekannter Ort für spannende Ausstellungen – und das soll es auch bleiben!
Welchen Stellenwert räumen Sie der Kulturpolitik in Ihrer politischen Arbeit ein?
Die Kulturpolitik hat innerhalb der SP einen sehr hohen Stellenwert, weil Kultur für das Zusammenleben, die Integration und ganz grundsätzlich für Mensch und Gesellschaft fundamental wichtig ist. Kultur gehört deswegen in allen politischen Bereichen mitgedacht. Damit sich Kultur frei entfalten kann, dürfen sich die politischen Akteure nicht in die Kulturförderung einmischen. Die Rolle der Politik kann und muss es sein, gute Rahmenbedingungen zu schaffen beispielsweise in der Form von ausreichender finanzieller Förderung, das Bereitstellen von Infrastruktur oder die Unterstützung der Schulen in der Kulturvermittlung.
«Die Rolle der Politik kann und muss es sein, gute Rahmenbedingungen zu schaffen beispielsweise in der Form von ausreichender finanzieller Förderung, das Bereitstellen von Infrastruktur oder die Unterstützung der Schulen in der Kulturvermittlung.»
SP Thurgau, über den Stellenwert von Kulturpolitik
Wie könnte die Thurgauer Kultur über die Kantonsgrenzen hinaus sichtbarer werden?
Die Thurgauer Kultur ist bereits über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus sichtbar und wir sollten uns nicht unbedeutender machen, als wir sind. Neben zahlreichen bekannten Thurgauer Kulturschaffenden gibt sehr gute Museen und Ausstellungen, das Literaturhaus Thurgau in Gottlieben, die Kunsthalle Arbon, die Operette Sirnach, die Theaterwerkstatt Gleis 5, das Tanzfestival tanz:now, der Kunstraum, das Haus zur Glocke, das Kult-X, das Frauenfelder Bücherfest, die Villa Sutter, das Cinema Luna, das Theaterhaus in Weinfelden, die zahlreichen regionalen Kulturvereine, uvm., die eine Ausstrahlungskraft weit über die Kantonsgrenzen hinaus haben.
Die innerkantonale Bewerbung funktioniert bereits gut und mit thurgaukultur.ch gibt es eine Plattform, um die uns unsere Nachbarn beneiden. Einige Veranstaltungen, Häuser und Institutionen könnten sicherlich noch besser vermarktet werden. Gerade kleineren Kulturveranstalter sollten dafür unbürokratische Instrumente und Plattformen zur Verfügung gestellt werden. Um die Sichtbarkeit nach aussen zu verbessern, könnten weitere überregionale Projekte lanciert (zum Beispiel über die Kulturprojekte der IBK), die Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus gestärkt oder noch mehr innovative Konzepte und Künstler*innen gefördert werden. Die Thurgauer Kultur muss zudem über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus als Standortfaktor beworben und verstanden werden.
Kann Kultur ein Standortfaktor für den Thurgau sein?
Sie kann nicht – sie muss ein Standortfaktor für den Thurgau sein! Zum Teil ist Kultur schon heute ein Standortfaktor (Ittingen, Arenenberg, und viele mehr, siehe hier auch die unvollständige Aufzählung unter Antwort 6). Wenn wir wollen, dass die Thurgauerinnen und Thurgauer im Kanton bleiben, müssen wir ihnen ein reges kulturelles Leben bieten - das gilt erst recht, wenn wir qualifiziertes Personal herholen möchten. Der Thurgau muss dafür kein eigenes Opernhaus betreiben, sondern Kultur und Kulturschaffende grosszügig fördern, Kulturanbieter*innen bestmöglich unterstützen und alle Angebote, Vereine, Institutionen und Veranstaltungen gegen innen und aussen kommunizieren. Wichtig sind dabei auch Angebote, bei denen sich Leute aktiv engagieren können.
«Um die teilweise prekäre finanzielle Situation von Kulturschaffenden zu entschärfen, könnte auch eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für Thurgauer Künstler*innen geprüft werden.»
SP Thurgau zur Finanzsituation von Künstlerinnen und Künstlern
Werden Künstlerinnen und Künstler aus Ihrer Sicht heute angemessen entlohnt für ihre Arbeit? Falls nein: Wie wollen Sie das ändern?
Es gibt wenige Künstler*innen die angemessen entlohnt werden. Die Mehrheit der Kulturschaffenden arbeitet für einen sehr tiefen Lohn und geht noch anderen beruflichen Tätigkeiten nach, weil die Kunst alleine als Erwerbsarbeit nicht ausreicht. Es gibt kaum einen anderen Bereich als die Kultur, wo dermassen um die Wertigkeit von Arbeit gerungen wird. Künstlerische Arbeit wird immer wieder als eine vergnügliche Freizeitbeschäftigung eingestuft, die keine entsprechende Ausbildung erfordert und die aus einer Leidenschaft und einer inneren Dringlichkeit der Künstler*innen geschieht. Entscheidend ist da die Rolle der Förderung, die künstlerische Arbeit als Arbeit betrachtet und darauf achtet, dass diese auch entlohnt wird (zum Beispiel mit den Leitlinien von «visarte»). Der Kanton und die Gemeinden sind weiter gefragt, mit Stipendien, Zuschüssen und einem guten Infrastrukturangebot aufzuwarten. Um die teilweise prekäre finanzielle Situation von Kulturschaffenden zu entschärfen, könnte auch eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für Thurgauer Künstler*innen geprüft werden. Viel zu wenig Beachtung erhält auch das Thema berufliche Vorsorge.
Mit den 127 Millionen Franken aus dem TKB-Aktienverkauf würden wir…
...die Eintrittspreise für alle Museen im Kanton Thurgau für die Bevölkerung dauerhaft erlassen, damit sie möglichst niederschwellig zugänglich sind und von allen besucht werden können, alle vorgeschlagenen Museumsneubauten, -sanierungen und -projekte realisieren, eine Pensionskasse für freischaffende Künstler*innen finanzieren, ein grosses, spartenübergreifendes und überregionales (Kultur-) Projekt initiieren, eine Fachhochschule Kunst im Kanton gründen und ganz grundsätzlich den Thurgau zu einem andersartigen, exklusiven Lebens-, Wirtschafts- und Kulturraum entwickeln.
«Uns ist es viel mehr ein zentrales Anliegen, dass es am Standort Ittingen vorwärtsgeht.»
SP Thurgau zur Zukunft des Kunstmuseums
Hinweis: Für die SP-Fraktion haben sieben ehemalige, derzeitige und vielleicht angehende Kantonsrät*innen geantwortet. Auf Wunsch der SP wurden keine einzelnen Namen genannt.
So antworteten die anderen Parteien auf die Fragen
EDU Thurgau: «Kultur ist keine Frage des Standorts»
Grüne Thurgau: «Das kantonale Kulturbudgets sollte erhöht werden»
SVP Thurgau: «Das Historische Museum sollte in den Oberthurgau»
GLP Thurgau: «Der Oberthurgau hat für uns Priorität»
FDP Thurgau: «Das Kunstmuseum soll ein Leuchtturm für den Thurgau sein»
EVP Thurgau: «Kunstmuseum soll in der Kartause bleiben»
Wen wählen? Eine Zusammenfassung und Analyse der Antworten finden Sie hier
CVP Thurgau und BDP Thurgau haben auf unsere Anfrage nicht reagiert.
Der Kulturcheck: Wir wollten im Hinblick auf die Kantonsratswahl am 15. März von den Fraktionen wissen, wie sie es mit der Kultur halten. Um ihre Haltung zu verschiedenen Themen abzufragen, haben wir einen Fragebogen entwickelt. In diesem stellten wir konkrete Fragen (beispielsweise zur Standortdebatte um das Historische Museum Thurgau), aber auch allgemeine Fragen zur Bedeutung von Kulturpolitik und der finanzielle Lage von Künstlerinnen und Künstlern. Zwei Wochen hatten alle Fraktionen Zeit, die Fragen zu beantworten.
Wir haben den Fraktionen überlassen, ob sie eine Fraktionsmeinung abgeben oder einzelne Kandidatinnen und Kandidaten zu Wort kommen lassen. Sieben der neun im Rat vertretenen Gruppierungen haben sich die Zeit genommen. Lediglich die CVP und die BDP antworteten trotz mehrfachen Nachfragens auf verschiedenen Kanälen nicht auf unsere Anfrage.
Die Wahl: Am Sonntag, 15. März, wird zum ersten Mal im Thurgau nicht nur der Grosse Rat neu gewählt, sondern auch die Mitglieder des Regierungsrats stehen zur Wahl. In unserem „Kulturcheck“ konzentrieren wir uns allerdings auf die Parlaments-Wahl.
Die Machtverhältnisse im Grossen Rat: Aktuell zählt der Grosse Rat 130 Mitglieder. Die Sitzverteilung lautet derzeit wie folgt. Die SVP hält 44 Sitze, CVP 20, FDP 20, SP 17, Grüne Partei 9, GLP 7, EVP 5, EDU 5 und BDP 3.
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