von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 03.04.2023
Zwei Gärtner im Kunstraum
Ein ungewöhnliches Duo: Ulrich Vogt und Reto Müller leiten den Kunstraum Kreuzlingen jetzt gemeinsam. Das Erbe von Richard Tisserand wollen sie mit Respekt und Vorfreude antreten. Eine Begegnung. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
In der Kunst ist es manchmal wie im richtigen Leben - an neue Aufgaben tastet man sich oft langsam heran. Ehe neue Techniken, neue Sujets, neue Ausdrucksweisen beherrscht werden, vergeht oft eine Zeit des Ausprobierens, Annäherns und Experimentierens.
Mit dieser bewährten Methode versuchen es jetzt auch Reto Müller und Ulrich Vogt. Seit Anfang des Jahres sind der Künstler und der Kurator das neue Leitungs-Duo des Kunstraum Kreuzlingen - und Dinge zu überstürzen ist ihre Sache nicht. „Wir wollen den Kunstraum weiterführen mit Gelassenheit, ohne das gleich ein grosser Knall kommt“, sagt Ulrich Vogt an einem Freitagmittag im März in Kreuzlingen.
„Wir wollen den Kunstraum weiterführen mit Gelassenheit.“
Ulrich Vogt, Kurator
Dass die beiden Männer nun hier stehen, liegt auch daran, dass ein anderer grosser Mann nicht mehr da ist. Nach dem Tod des langjährigen und sehr prägenden Kurators Richard Tisserand im vergangenen Jahr, brauchte der Kunstraum eine neue Leitung. Die Wahl der Thurgauischen Kunstgesellschaft, sie betreibt diesen Hot Spot des zeitgenössischen Kulturschaffens im Kanton, fiel mit Vogt und Müller auf zwei, auf den ersten Blick, sehr verschiedene Menschen.
Hier Ulrich Vogt, der erfahrene Kurator aus dem Zeughaus Teufen, der ungern schnelle Pointen auslässt. Dort Reto Müller, der mehrfach ausgezeichnete Künstler, der über Fragen gerne mal länger nachdenkt, bevor er in Schachtelsätzen antwortet.
Jeder bringt seine Qualitäten mit
Beide kennen sich schon länger, sie haben sich explizit als Doppelspitze für die Leitung des Kunstraums beworben, „weil wir das Gefühl hatten, dass unsere verschiedenen Fähigkeiten und Qualitäten diesem Ort gut tun könnten“, erklärt Reto Müller. Er kennt den Kunstraum schon sehr länger, hat schon vor Jahren angefangen Richard Tisserand zu assistieren. Als Tisserand krank wurde, übernahm Reto Müller mehr und mehr Aufgaben. Der Künstler, der in diesem Jahr den mit 15'000 Franken dotierten Manor Kunstpreis in Schaffhausen erhält, weiss also ganz gut, wie der Kunstraum tickt.
Ulrich Vogt wiederum bringt seine Erfahrungen als dem Experiment sehr zugeneigter Kurator ein. Zu seinem Abschied aus dem Zeughaus Teufen weinten ihm viele Menschen sehr dicke Tränen nach. In einem Beitrag im Saiten-Magazin lobte die Kunsthistorikerin Corinne Schatz beispielsweise Vogts unbändige Neugier und seine Offenheit: „Als Besucherin kann man (im Zeughaus Teufen, d. Red.) sicher sein, Entdeckungen zu machen und erfrischende Konstellationen von Architektur, Design, bildender Kunst, Musik, Literatur sowie von Tradition und Zeitgenössischem zu erleben.“
Wie gestaltet man eine Landschaft? Eine Frage, die beide interessiert
Es ist aber nicht nur die Kunst, die Müller und Vogt verbindet. Es ist auch ein Faible für Gärten und Landschaftsarchitektur. Reto Müller besuchte die Gartenbauschule, wollte eigentlich Landschaftsarchitekt werden, entschied sich dann aber doch für die Kunst, weil die Gärten, die er entwerfen wollte, zu oft an der Realität scheiterten.
Ulrich Vogt ist auf einem Bauernhof in Güttingen aufgewachsen, ist Gärtner, Architekt und generell von zupackender Art. 2017 zeichnete ihn der Bund Schweizer Architekten für seine vielschichtige und inspirierte Arbeit in der Architekturvermittlung aus.
„Wir verstehen uns als Anwaltschaft der Kunst. Wir wollen Kunst ermöglichen und sichtbar machen.“
Reto Müller, Künstler und Kurator (im Bild zeigt er Arbeiten von Richard Tisserand)
Bei so viel Gartenanalogie drängt sich die Frage auf: Wie wollen die beiden ihre neue Spielstätte zum Blühen bringen? „Wir verstehen uns als Anwaltschaft der Kunst. Wir wollen Kunst ermöglichen und sichtbar machen“, sagt Reto Müller. Die Aufgaben wollen sie nicht thematisch aufteilen, beide machen erstmal alles. Auch um herauszufinden, wohin die Reise eigentlich gehen könnte und was, wo besonders gut wächst.
Beide wissen, dass sie die Balance zwischen Erneuerung und Erhalt hinbekommen müssen, um einerseits neue Besucher:innen zu gewinnen und andererseits das bisherige Publikum nicht zu verschrecken. Wie das gehen könnte, haben sie in der Kunstnacht Konstanz Kreuzlingen erstmals gezeigt. Auf dem Boulevard durfte sich die Videokünstlerin Sarah Hugentobler austoben. Der Kunstraum wurde zum Treffpunkt für Video-, Klang- sowie Performancekunst. Dabei soll es aber nicht bleiben.
Wird der Kunstraum zum grenzüberschreitenden Denkraum?
Der Kunstraum möchte auch eine Plattform werden. Was genau das heisst? „Der Kunstraum könnte als Ort verstanden werden, an dem nicht nur geschaut werden kann, was Kunstschaffende gerade machen, sondern, dass diese Kunst dazu dient über Kreuzlingen, die Region und die Welt nachzudenken“, beschreibt Reto Müller. Das Ziel dabei: eine aktivere Einbindung des Publikums und am Ende vielleicht sogar die Entstehung einer neuen Community, die gemeinsam über Herausforderungen und Themen unserer Zeit nachdenkt.
Der Blick der beiden Kuratoren geht dabei durchaus auch in Richtung Konstanz. „Grenzüberschreitende Initiativen sind unser Wunsch. Man kann diese Gegend hier mit ihrer ländlichen Randstellung auch als grössere urbane internationale Region verstehen. Das empfinde ich als anregende Ausgangslage für zukünftige Projekte“, sagt Ulrich Vogt. Kooperationen mit anderen Institutionen, Bildungsstätten und Kultursparten war schon in Teufen ein Erfolgsrezept von Vogt.
Wie umgehen mit dem grossen Erbe von Tisserand?
Damit würden die beiden neuen Kuratoren auch an Bemühungen von Richard Tisserand anknüpfen. Der hatte sich jahrelang um eine stärkere Vernetzung mit Konstanz bemüht, traf dabei aber nicht überall auf Gegenliebe. Überhaupt stellt sich für Vogt und Müller ja die generelle Frage - wie umgehen mit dem Erbe von Tiss? „Was sicher ist, ist, dass wir seine Ausstellungspraxis als Künstler:innen-Förderung weiter führen möchten. Der Kunstraum soll Ort des Ermöglichens für Kulturschaffende bleiben“, erklärt Reto Müller.
Die weitere Ausrichtung des Programms wollen sie in der Praxis gemeinsam entwickeln. Ob die Aufteilung in White-Cube-Ausstellungen im Erdgeschoss und experimentellen Arbeiten im Tiefparterre so bleibt, sei beispielsweise offen: „Diese Fragen werden wir neu überdenken, diese Labels könnten neu positioniert werden“, kündigt Ulrich Vogt an. Richard Tisserand wäre vermutlich der erste, der dem zustimmen würde. In Interviews hatte er immer wieder betont, dass der stete Wandel zentral ist für Lebendigkeit im Kunstbetrieb.
Das Motto für die Neuerfindung steht
Tiss dürfte mit dem neuen Duo zufrieden gewesen sein. Er wusste seinen Kunstraum nun in guten Händen. Für ihn war das möglicherweise auch ein Moment des Loslassens: Nur eine Woche nach der offiziellen Verkündung des neuen Leitungsteams, starb Richard Tisserand.
Das Motto, dass sich Reto Müller und Ulrich Vogt für die Neuerfindung des Kunstraums gewählt haben, hätte Tisserand jedenfalls ganz sicher gefallen: „Es muss nicht spektakulär sein, es muss gut sein.“
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