von Inka Grabowsky, 09.11.2022
Zwischen Jööh-Effekt und leichtem Grusel
Im Kreuzlinger Seemuseum ist eine Eichhörnchen-Ausstellung zu Gast. Die Exponate des Naturmuseums Winterthur machen Unbekanntes über die wilden Nachbarn bekannt und räumen mit einigen Mythen auf. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Ein künstlicher Wald ist innerhalb von nur zwei Tagen im Gewölbekeller des Seemuseums gewachsen. An drei Dutzend Holzstämmen sind rund vierzig ausgestopfte Eichhörnchen inszeniert.
Man sieht sie im Sprung, beim Vergraben von Nussvorräten oder gekuschelt in ihr Nest, den Kobel. «Keines der Tiere ist extra für die Ausstellung getötet worden», beruhigt Julian Fitze, der durch die Exponate führt. «Sie sind verunfallt oder anders gestorben und wurden dann präpariert.»
Video: WDR-Doku über Eichhörnchen
Zu Risiken und Nebenwirkungen
Tatsächlich lernt man im Seemuseum viel über die Härten des Eichhörnchen-Lebens. Die kleinen Nager sind eigentlich immer hungrig. Um agil zu sein, haben sie keine Fettreserven. Also müssen sie täglich Nahrung finden – auch im Winter. Deshalb verstecken sie Nüsse und Zapfen als Vorrat. Immerhin 60 Prozent davon finden sie wieder. Der Rest keimt aus und verjüngt den Wald.
«Hunger ist die grösste Bedrohung unserer heimischen Hörnli», so Fitze. «Danach folgt der Strassenverkehr. Und dann gibt es noch Fressfeinde wie Baummarder, Krähen oder Raubvögel.» Nur ein Viertel aller Jungtiere überlebt die ersten sechs Monate.
Diese traurige Quote macht die Natur durch Menge wett. Eichhörnchen können zwei Mal pro Jahr Junge bekommen, und pro Wurf gibt es bis zu vier Nachkommen. Unter den Geschwistern kann es übrigens oft unterschiedliche Fell-Farben von Rot über Braun bis Grau geben.
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten
Immerhin eine Gefahr bleibt den Schweizer Hörnchen bisher erspart. Sie müssen sich noch nicht mit Grauhörnchen («Sciurus carolinensis») herumschlagen, die ursprünglich aus Nordamerika stammen.
Diese Tiere besetzen exakt den gleichen Lebensraum, sind aber grösser und stärker, und sie tragen ein spezielles Pockenvirus, gegen das sie selbst immun sind. Anders die europäischen Hörnchen: In Grossbritannien sind 80 Prozent der «Sciurus vulgaris» nach der Erkrankung gestorben. Das zeigen die Ausstellungsmacher – kein schöner Anblick.
In der Schweizer Nachbarschaft sind die entfernten Verwandten bisher erst in einem Park in Norditalien zuhause. «Wir hoffen, dass die Beutegreifer diese Gruppe weiterhin reguliert», sagt Fitze. Und noch eine gute Nachricht gibt es für die Kletterer. Sie dürfen nicht mehr gejagt werden.
Geschmorte Eichhörnli
«Noch vor hundert Jahren gab es Rezepte für geschmorte Eichhörnli», erzählt der Wissensvermittler. «Und das weiche Fell wurde früher natürlich auch verwendet. Für einen Feh-Pelz, wie wir ihn zeigen, brauchte man 80 Tiere.»
Eichhörnchenfell zu streicheln ist schön. Sich vorzustellen, die Sympathieträger zu erschiessen, dürfte einige Museumsbesucher gruseln.
Supersinne anschaulich erklärt
Die Evolution hat den Hörnchen für ihr gefahrvolles Leben einiges an Sonderausstattung mitgegeben. Die wichtigen Schneidezähne wachsen pro Woche mehrere Millimeter nach. Nüsse aufknabbern schadet also nicht. Die Augen sind speziell: Die Linsen sind orange gefärbt, so dass Kontraste verstärkt werden. Eine Brille lässt Museumsbesucher das nachempfinden.
Die Netzhaut bildet anders als beim Menschen überall ein scharfes Bild ab, so dass die Tiere den Kopf nicht bewegen müssen, wenn sie reglos am Baum darauf warten, dass ein Beutegreifer wieder verschwindet.
Video: 26 Fakten über Eichhörnchen
Der Duft der Nüsse
Hörnchen können unter 30 Zentimetern Schnee eine Nuss riechen. Wie eine Haselnuss duftet, zeigen Riechproben. Die Akrobaten springen aus dem Stand über zwei Meter hoch. Fettpolster unter ihren Fussballen polstern die Landung.
Und der Schwanz dient nicht nur zum Wärmen und Abkühlen, sondern vor allem zum Balancieren. Ein hölzernes Modell zeigt die Wirkweise.
Falscher Name
Ein Ausstellungsbesuch im Seemuseum füllt Wissenslücken und bereinigt Irrtümer. «Eichhörnli leben weder auf Eichen noch von Eicheln», klärt Julian Fitze auf. «Sie bevorzugen Nadelbäume. Und wenn sie zu viel Eicheln essen, werden sie krank. Wir haben das altdeutsche Wort ‹aig› für ‹flink› im Laufe der Jahrhunderte verschliffen.» Hörner haben die Nager bekanntlich auch nicht. «Orn» war früher einfach eine häufige Wortendung.
Mehr Eichhörnli im Internet
Das Seemuseum macht mit einem spektakulären Foto eines Eichhörnchens auf einem Plakat auf die Ausstellung aufmerksam. Gemacht hat es Niki Colemont aus Belgien, der sich selbst als «Squirrel Man» bezeichnet.
«Wir haben das Bild auf Instagram entdeckt, den Fotografen angeschrieben und bekamen sofort die Erlaubnis es zu verwenden. Niki Colemont bat im Gegenzug nur um die Zusendung des Plakats.»
Lernen im Museum
Die Schau im Seemuseum steht in einer Reihe von Ausstellungen, die sich jeweils mit den Tieren der näheren Umgebung befasst haben. Nach Fledermaus, Biber und Fischotter können sich Familien, Schulklassen und Naturfreunde nun also zu Eichhörnchen schlau machen.
Damit liegen die Kreuzlinger im Trend. Im Naturmuseum in Frauenfeld sind parallel ja gerade die Fledermäuse Thema. Ein Rahmenprogramm macht das Kennenlernen der Eichhörnchen in Kreuzlingen noch leichter. Los geht es mit dem Familiensonntag am 20. November, an dem bei freiem Eintritt nicht nur erklärt, sondern auch gebastelt wird.
Die Ausstellung
«Eichhörnchen» 10. November 2022 – 16. April 2023
Vernissage: 9. November, 19 Uhr
Familiensonntag: 20. November, 14 bis 17 Uhr
Apéro für Lehrpersonen: 23. November, 17.30 Uhr (mit Anmeldung)
Erzählnachmittag «Chlaushörnchen»: 7. Dezember, 14 bis 15.30 Uhr
Weitere Termine in 2023 unter www.seemuseum.ch
Von Inka Grabowsky
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