von Rolf Müller, 31.08.2014
Ausgezeichnete Stagnation
Sie schweigen, leiden, rauchen: Ein beziehungsmüdes Paar strampelt durchs Toggenburg. Rhona Mühlebach zeigt im Kurzfilm „Abseits der Autobahn“ grosses Kino. Das fand auch die Jury in Locarno.
Rolf Müller
Das Leben schreibt die besten Geschichten. Eine geht so: Ein Holländer wird auf einem Schweizer Zeltplatz im Zelt von einem Amerikaner mit Vierradantrieb-Karre überrollt. Er überlebt und erzählte die Story im Sommer 2013 lautstark während einer Zugfahrt in Deutschland, wo die Thurgauer Filmstudentin Rhona Mühlebach interessiert zuhörte.
Die heute 24-Jährige studierte im Abschlussjahr an der Ecole cantonale d’art de Lausanne und fand die Szene wunderbar. Sie fand Eingang in ihre rund zwanzigminütige Tragikomödie „Abseits der Autobahn“, mit der sie vor wenigen Wochen die Kunsthochschule mit Auszeichnung abschloss.
Eindrucksvolle Bildsprache: Regisseurin Mühlebach. (Bild: Rolf Müller)
Ihre Diplomarbeit begleitet die Mittfünfziger Roman (Andrea Zogg) und Linda (Charlotte Heinimann) auf einer Velotour im Toggenburg. Das Paar redet nicht viel. Sie pedalt ein E-Bike, er müht sich auf einem konventionellen Velo ab. Es geht bergauf, und der unterschiedlichen Tempi wegen fährt sie schon mal vor. Er raucht noch eine, macht sich auch wieder auf, landet auf dem falschen Zeltplatz. Sie wartet, raucht, wartet.
Alltägliche Liebesmüh
„Sie meinen es nicht bös“, kommentiert die Regisseurin und Drehbuchautorin Mühlebach den Beziehungskrampf ihrer Protagonisten trocken, „aber ihre Zeit als Paar ist eben abgelaufen“. Die beiden bekannten Schweizer Darstellenden – brillant in ihrem dumpfen Brüten – habe sie recht einfach für ihren Film gewinnen können: „Ich habe ihnen geschrieben, das Drehbuch geschickt, und sie haben zugesagt“.
Das Thema des Films ist Stagnation, stark umgesetzt: Nie sind Frau und Mann im Einklang, nicht im Wollen, nicht im Tempo, nicht mal in den Abneigungen. Mal macht sie ihm ein Angebot, mal er ihr, aber das Timing passt nicht, und das Leben geht weiter und Wege auseinander. Wie echt halt. Lange Einstellungen, stimmungsvolle Bilder, eine dichte Atmosphäre prägen den Film (siehe Kritik).
Strampeln vergebens: „Sie meinen es nicht bös“, sagt die Regisseurin.
„Abseits der Autobahn“ von Rhona Mühlebach hat am Filmfestival Locarno 2014 zwei Preise gewonnen: den “Actio Light” für das beste Schweizer Newcomertalent und den “Primo” von Cinéma e Gioventu. Das freut das in Dettighofen und Pfyn aufgewachsene cineastische Nachwuchstalent. Sie sei an den Vorführungen „doch relativ nervös“ gewesen. Jetzt gönnt sie sich erst mal eine Auszeit, überlegt, was ihre nächsten Projekte sein könnten. „Film ist ein gutes Medium für mich“, sagt sie.
Nach der PMS ans Theater
Ihr Weg an die Lausanner Ecole cantonale d’art folgte nach Abschluss der Pädagogischen Maturitätsschule in Kreuzlingen und Praktika als Ausstattungsassistentin an den Theatern Konstanz und Luzern. Aus Interesse an der Sprache besuchte sie in der Romandie erst den Vorkurs und schrieb sich nachher für das Bachelorstudium ein. Unterdessen sucht sie im Gespräch öfters nach Ausdrücken in Deutsch.
Den Thurgau beschrieb sie ihren Kolleginnen und Kollegen an der Hochschule als idyllisch, mit vielen Äpfeln und sehr ländlich.
Der Arbeitstitel ist Programm
Derzeit bewirbt sich Mühlebach mit „Abseits der Autobahn“ quer durch das Land und international an Filmfestivals, was ein mühsames Unterfangen sei. Der Dreh hatte ein Budget von 25‘000 Franken, 5000 Franken davon flossen aus dem Lotteriefonds des Kantons Thurgau. Gesprochen wurde der Betrag für den damals noch provisorischen Arbeitstitel „Bloody Mary“.
Sinnig, denn das Gesöff aus Tomatensaft und Wodka ist das allereinzige, was die beiden ehemals Liebenden im Film noch verbindet.
***
Trailer "Abseits der Autobahn" - sehr knapp, exemplarisch für den Film.
KRITIK - Keine Sekunde Zweifel"Zu Beginn will man noch daran glauben: ein leicht heruntergekommenes Paar verleiht seiner in die Jahre gekommenen Beziehung auf einer Velotour neuen Schwung. Aber mit jeder Minute verfestigt sich die leise Ahnung, dass da nichts mehr zu retten ist, zur Gewissheit. Am Ende hat man nicht einem kurzen Film sondern einem ausgewachsenen Drama beigewohnt. Das liegt zum einen an Andrea Zogg und Charlotte Haldimann, die als Filmpaar so authentisch wirken, dass man nicht eine Sekunde an ihnen zweifelt. Das liegt aber auch am durchdachten Aufbau von Rhona Mühlebach, die ihre Geschichte in starken Bildern erzählt – etwa indem sie die Frau ein Elektro-Bike und den Mann ein normales Velo fahren lässt und dadurch illustriert, wie die zwei zwar noch auf demselben Weg, aber eben doch völlig unterschiedlich unterwegs sind. Während die eine gerne ankommen würde ist dem anderen schon lange der Schnauf ausgegangen."
Der Thurgauer Christian Flückiger war von 1998 bis 2003 Filmkritiker mit eigenem Büro in Zürich. Von 2002 bis 2006 arbeitete er in derselben Funktion bei DRS3, ab 2005 war er als Redaktionsleiter für die Hintergrund-Sendung „Input“ verantwortlich. Nach einer Weiterbildung mit Masterabschluss ist er seit kurzem in der Versicherungsbranche als Organisationsentwickler tätig. Die Sporen als Journalist verdiente sich Flückiger unter anderem als Volontär beim Thurgauer Tagblatt selig. (rom) |
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