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von Inka Grabowsky, 30.07.2020

Auferstanden aus Ruinen

Auferstanden aus Ruinen
So sah die Theaterwerkstatt in Frauenfeld aus, bevor sie Theaterwerkstatt wurde. 2011 haben die Theatermacher das Gebäude aus dem Jahr 1855 grundsaniert. | © Simon Engeli

Wenn in einer Fabrik oder Werkstatt die Arbeit eingestellt wird, ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten, die Gebäude anders zu nutzen. Zum Beispiel als Kulturstätte. Wie das gelingen kann, zeigen drei Projekte gelungener Umnutzungen aus dem Thurgau.

Eigentlich kann man überall Theater spielen. Als während der Pest die Theater geschlossen waren, spielte Shakespeare ohne Bühne, ohne Kulisse und ohne extra Beleuchtung. Er liess seine Schauspieler zu Beginn des „Hamlet“ einfach erwähnen, dass sie Wache stehen, die Uhr gerade Mitternacht geschlagen hat und es bitterkalt ist. Die Phantasie der Zuschauer übernahm den Rest.

Schöner allerdings ist der Kulturgenuss mit Ausstattung. Und deshalb arbeitet zum Beispiel Christine Forster mit ihrem Team immer noch daran, das Kult-X in Kreuzlingen auf dem Schiesserareal zu einem Kulturzentrum auszubauen und zu vollenden, was sie 2012 hier mit dem Pilot-Projekt „Kultur im Shop“ begonnen hatte.

Im ehemaligen Fabrikladen des Wäscheproduzenten organisierte sie Konzerte, Theater, Filmvorführungen oder Performances. „Wir fanden einen Raum vor mit altem Spannteppich und Industriebeleuchtung. Wasser für unsere improvisierte Bar mussten wir aus dem ersten Stock holen. Den Teppich haben wir mit Platten überlegt. Die Bühne bestand aus Elementen, die wir von der psychiatrischen Klinik borgen konnten.“ 

Bilderstrecke: Das Kult-X im Aufbau

Die Situation hat sich 2018 mit dem offiziellen Segen der Stadt Kreuzlingen, die seit 2008 das Areal besitzt, professionalisiert. Der Teppich ist inzwischen von freiwilligen Helfern herausgerissen, ein Durchbruch für eine später einzubauende Küche ist geschaffen und sogar eine Zuschauertribüne haben die Betreiber günstig kaufen können. Gelüftet wird allerdings immer noch durch das Öffnen der Fenster statt durch eine Lüftungsanlage, und auch der Kauf einer eigenen Licht- und Ton-Anlage steht unter Finanzierungsvorbehalt.

Gebrauchte Bühnentechnik bekam das Kult-X geschenkt, Möbel stammen aus der Brockenstube. „Als wir den Raum vor zwei Jahren eingerichtet haben, gab es einiges zu bedenken“, so Christine Forster. „Ein Baugesuch zum Beispiel. Die Umnutzung von Industriegebäude zu Veranstaltungsraum ist bewilligungspflichtig. Dann musste es natürlich eine feuerpolizeiliche Prüfung geben, ob die Brandschutzregeln beachtet sind. Wir mussten die Stahlsäulen einpacken, weil Stahl im Fall eines Feuers offenbar zu gefährlich wird. Das ist schade, aber verständlich. Auch das Holz musste beschichtet werden, damit es nicht schnell entflammbar ist. Und dann ging es um Fluchtwege, für die wir neue Türen einbauen mussten.“

„Die vielen Freiwilligen machen eine schnelle Umsetzung von Ideen erst möglich.“

Christine Forster, Projektleiterin Kult-X (Bild: Michael Lünstroth)

Mittlerweile nutzt das Kult-X nicht mehr nur den „Kultur-im-Shop“-Raum im Souterrain, sondern zwei weitere Etagen und seit Juli auch den Garten. Es gibt den Kino- und Konzertsaal mit Tribüne und – mutmasslich ab September – einen Multifunktionsraum für Konzerte, Lesungen und Ausstellungen. Im Obergeschoss befindet sich ein Bewegungsraum mit Garderobe, Vorhängen und Spiegelwand. Seit Februar übt hier die Tanzabteilung der Musikschule, probt ein Chor oder praktizieren Qigong- und Tai Chi-Schüler. Der aktuelle Status Quo des Projektes sei vor allem dem 40-köpfigen Helferteam zu verdanken, das die Realisierung der Vision vorantreibe, so Christine Forster. „Die vielen Freiwilligen machen eine schnelle Umsetzung von Ideen erst möglich.“

Finanziell getragen wird das Projekt von der Stadt Kreuzlingen. Das Budget hat sich seit 2018 mehr als verdoppelt auf aktuell 104’000 Franken pro Jahr. Davon gehen allerdings mehr als die Hälfte (64’000 Franken) für die Miete drauf. Laut Finanzplan 2020 - 2023 der Stadt sollen in den nächsten vier Jahren insgesamt 10 Millionen Franken investiert werden in das Projekt. Das war allerdings vor Corona. Inwieweit sich die städtische Finanzplanung durch die Pandemie verändert, ist noch unklar. Umso besser für das Projekt, dass auch der Kanton das Kult-X inzwischen unterstützt: Im Juni hat der Regierungsrat 100'000 Franken aus dem Lotteriefonds gesprochen.

Phönix Theater will ausbauen

In Steckborn im alten Pumpenhaus direkt am Bodensee ist seit 1990 das Phönix-Theater zuhause. Von hier aus wurde bis 1974 Wasser aus dem See gepumpt, um Maschinen zur Kunstseiden-Produktion zu kühlen. Das Haus ist im Stil des benachbarten alten Klosters (des heutigen Hotels Feldbach) gebaut, stammt aber aus der Zeit des 2. Weltkriegs. Vor dem Umzug spielte der Theaterverein in Restaurant Kehlhof oder im Keller der reformierten Kirchgemeindehauses. „Wir hatten das leerstehende Pumpenhaus schon bei unserer Gründung im Auge“, erzählt Philippe Wacker, der vor 39 Jahren Gründungspräsident des Vereins war und heute festangestellter Theaterleiter ist.

„Die Stadt, oder damals die Ortsgemeinde, wollte es aber nicht an uns vergeben. Einige Jahre später nahmen wir einen neuen Anlauf, sind aber zunächst wieder gescheitert. Dann haben wir Unterschriften gesammelt. Die Gemeindeversammlung musste sich mit unserer Bitte um das Pumpenhaus befassen, und sie hat unserem Antrag grossmehrheitlich zugestimmt.“ Doch mit dem Recht, das Pumpenhaus zu bespielen, war es naturgemäss nicht getan. Das Gebäude sei baulich eine Herausforderung, so Wacker. „Es war schon ausgeräumt, also bis auf den Laufkran an der Decke waren keine Geräte mehr da, aber die schlechte Isolation war ein grosses Problem. Wir haben die Fenster ausgewechselt und die Türen abgedichtet, trotzdem war das Haus nie dicht.“

Das Phönixtheater in Steckborn. Bild: Michael Lünstroth

Erweiterungsbau an der Nordfassade ist geplant

Wegen der Lage und seines Charmes werde das Phönix-Theater sehr geschätzt, meint Wacker. „Wir haben bewusst Teile der historischen Anlage erhalten. Die Industrieklinker im Foyer und der Kran an der Decke im Bühnenraum sind Teil der Innengestaltung.“ Auch einige der Deckel auf den Schächten, die bis zum Grundwasserspiegel hinab reichen, sind heute noch sichtbar. Andere sind von einem neu gegossenen Boden überdeckt. „Das Theater soll sich weiter verbessern und wachsen. Die Ansprüche der Kompagnien, die wir einladen, wachsen auch.“

Aktuell wünscht sich Wacker zusätzliche Nebenräume. Architekten machen Pläne für einen Erweiterungsbau an der Nordfassade und am Osttor. „Um das zu finanzieren, haben wir eine Firma mit der Suche nach Sponsoren beauftragt.“ Fronarbeit der Mitglieder des Trägervereins wird es bei den Baumassnahmen nicht oder nur für einfachere Arbeiten geben. „Wir müssen mit Profis arbeiten. Sicherheitsvorgaben wie die Stabilität der Zuschauertribüne oder die feuerpolizeilichen Anforderungen sind so gewährleistet.“

Theaterwerkstatt Gleis 5 improvisiert

Viel selbst gemacht hat Simon Engeli, als er 2011 in Frauenfeld mit seinen Mitstreitern die Lokremise aus dem Jahr 1855 zur Theaterwerkstatt Gleis 5 umbaute. Die SBB brauchte das Gebäude am Bahnhof nicht länger für den Unterhalt von Lokomotiven und Waggons und hatte per Aushang in der Bahnhofsunterführung nach einem Mieter gesucht. „Wir waren damals auf einer Sommertournee mit ‚In 80 Tagen um die Welt‘ und suchten alle ein Dach über den Kopf für Auftritte bei schlechtem Wetter“, erinnert sich Simon Engeli.

„Wir haben uns auf etwas eingelassen, ohne abschätzen zu können, welche Konsequenzen das hat.“

Simon Engeli, Theaterwerkstatt Gleis 5 (Bild: zVg)

„Die beiden langen Räume, die heute unser Foyer und unser Theater bilden, waren mit ihrem schmutzigen Betonboden nicht wirklich schön, aber wir haben uns nicht abschrecken lassen. Sehr verführerisch war der hintere Teil: ein beheizbares Lager mit WC und Duschen, ein Büro und eine kleine Küche. Die Infrastruktur war für uns perfekt.“ Fünf Theaterschaffende taten sich zusammen, um die Miete aufzubringen und den Umbau in Angriff zu nehmen. „Wir haben uns auf etwas eingelassen, ohne abschätzen zu können, welche Konsequenzen das hat.“

Bilderstrecke: Vorher/Nachher Theaterwerkstatt Gleis 5

Schwierig seien die Auflagen des Kantons gewesen. Das Gebäude sollte beheizt werden können. „Damit wurde die Isolation von Dach, Wänden und Böden nötig, was uns in diesem Umfang gar nicht bewusst gewesen war. Erfreulicherweise fanden wir einen Zimmermann, der uns als ungelernte Hilfskräfte mitschaffen liess, um die Kosten zu reduzieren. Über Kopf Isolier-Glaswolle einzubauen ist eine Erfahrung, die ich zwar nicht missen möchte, die ich aber auch nicht noch einmal machen muss. Aber es hat uns zusammengeschweisst – und wir haben ein enges Verhältnis zu den Räumen, weil wir so viel selbst gemacht haben.“

Ein Zufall half bei der preisgünstigen Möblierung des Zuschauerraums. „Schon lange vor der Anmietung der Remise hatte Giuseppe Spina von der Schliessung eines Theaters in Norditalien gehört. Damals rechneten wir noch damit, dass wir erst Jahrzehnte später unser eigenes Haus haben würden. Trotzdem haben einen Lastwagen gemietet, sind hingefahren und haben die Klappsessel gratis bekommen.“

Jetzt knüpft Theaterwerkstatt an alte Traditionen an

Für anderes musste die Theaterwerkstatt zahlen. Ein Freundesverein half und hilft bis heute mit Spenden. Der Kanton unterstützte bei der Anschaffung der Lichtanlage. Aktuell tritt diese künstlerische Infrastruktur wieder in den Hintergrund. Die Theaterwerkstatt wird wegen der Corona-Krise wie in ihrer Anfangszeit wieder über die Lande ziehen.

Bilderstrecke: Umbau der Theaterwerkstatt

 

 

Auch diese Gebäude wurden oder werden umgenutzt

Das Eisenwerk in Frauenfeld gehört sicher zu den bekanntesten umgenutzten Industriegebäuden im Kanton. Die Schraubenfabrik wurde 1983 stillgelegt und ein Jahr später von einer Gruppe von Kulturenthusiasten zum Kulturzentrum umgebaut. Die Genossenschaft Eisenwerk konnte das Gebäude für 1,7 Millionen Franken kaufen, musste aber hart für die Finanzierung kämpfen, wie die Betreiber in einem Rückblick erzählen. Für die Konversion gab es 1991 den Schweizer Heimatschutzpreis, ausserdem den Architekturpreis 1980-90.

 

Das Historische Museum Thurgau wird zu einem Teil nach Arbon verlagert. In alten Industriehallen soll das neue Museum in den nächsten Jahren aufgebaut werden. Noch stehen zwei mögliche Standorte zur Wahl. Beide sind auf dem ehemaligen Saurer-Areal. Die Entscheidung soll im nächsten Frühjahr fallen.

 

Das Kulturforum Amriswil war auch ein Industriebau, bevor es 2001 zur Kulturstätte wurde. Früher wurden dort unter anderem Kartons produziert. Insbesondere Schuhkartons, da in Amriswil vom frühen 20. Jahrhundert bis in die 1970-er Jahre Schuhe produziert wurden. 

 

Das Kreuzlinger Theater an der Grenze, das dereinst ins Kult-X zügeln will, residiert seit inzwischen 52 Jahren in einer alten Scheune.

 

Das Theaterhaus Thurgau in Weinfelden existiert seit 2008 in einer Eternit-Lagerhalle, die für 1,4 Millionen Franken ausgebaut wurde. Sie bietet seitdem der Bühni Wyfelde, der Theater Bilitz und der theagovia eine Heimat.

 

Der Greuterhof in Islikon, in dem zwischen 1777 und ungefähr 1860 Stoff gefärbt und bedruckt wurde, ist heute Hotel, Restaurant, Ausbildungsstätte und auch Veranstaltungsraum.

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