von Markus Schär, 30.08.2012
Die Inszenierung Huggenberger
Zu ihrer Biografie „Huggenberger. Die Karriere eines Schriftstellers“ zeigen Rea Brändle und Mario König eine Ausstellung in der Kantonsbibliothek in Frauenfeld. Am Dienstag führten sie die Mitglieder der Alfred-Huggenberger-Gesellschaft durch die Schau.
Markus Schär
Zuletzt kommt, zögerlich, die Frage doch noch: Wie stand der Dichter Alfred Huggenberger aus Gerlikon TG tatsächlich zu den Nazis? Bis dahin haben sich alle um die Frage herumgedrückt, derentwegen sie diesen schwülen Abend in der Thurgauer Kantonsbibliothek verbringen. Rea Brändle und Mario König, die Autoren der Biografie „Huggenberger. Die Karriere eines Schriftstellers“, haben hier eine Ausstellung zu ihrem Werk gestaltet; auf Einladung der Alfred-Huggenberger-Gesellschaft führen sie durch die Schau. Sechs Stationen, teils im Labyrinth der Bibliothek zu suchen, teils so aufgestellt, „dass d Lüüt immer wider a öppis härelaufed“, wie es Rea Brändle ausdrückt, zeigen verschiedene Aspekte von Huggenbergers Werk.
So finden sich bei den Kinderbüchern Originale der Illustrationen in Huggenbergers Werken für die Jugend, auch von Ernst Kreidolf oder von Otto Marquard, der im Dritten Reich von Allensbach aus Flüchtlinge über den See schmuggelte und die Nazikontakte von Huggenberger missbilligte. Darauf folgen eine Hörstation in der Musikabteilung mit Hörspielen und Lesungen des Dichters; eine Litfasssäule mit Theaterplakaten, so für den Schwank „Dem Bollme si bös Wuche“, von dem das Theater für den Kanton Zürich noch 1988 nicht weniger als 66 Vorstellungen gab; Vitrinen mit Fotos und Zeichnungen zu den „Orten und Wegen“ von Huggenberger, auch seine „Büechli“ aus selbst zusammengenähtem Papier, in denen er eifrig seine Eindrücke festhielt – ausser während der Lesereisen, die ihn selbst im Zweiten Weltkrieg ins Nazireich führten.
„Wie kommen Sie dazu, so etwas zu schreiben?“
Schliesslich im zweiten Stock die letzte Station, die den Anlass für Buch und Ausstellung zeigt. Im Hinblick auf das Eidgenössische Sängerfest 2008 in Weinfelden regte die Huggenberger-Gesellschaft an, die SBB sollten einen Neigezug nach dem Dichter benennen. Das Datum für die Taufe samt Nationalratspräsidentin stand schon fest, als die Thurgauer Zeitung im Dezember 2006 die Frage nach der politischen Gesinnung von Huggenberger aufwarf. Innert weniger Tage sagten die SBB die schludrig vorbereitete Zugstaufe ab – das führte zu Verletzungen, die einige Verehrer des Dichters bis heute schmerzen. Und die Debatte in den Medien, die sich in der Ausstellung nachlesen lässt, bewog schliesslich den Regierungsrat, den Auftrag für eine Werkbiografie auszuschreiben.
Der Historiker Mario König und die Germanistin Rea Brändle wollen an diesem Abend ihr sorgfältig abwägendes Werk verteidigen, das sie nach zwei Jahren Forschen im Juni veröffentlichten. „Fragen Sie auch: Wie kommen Sie dazu, so etwas zu schreiben?“, ermuntert die Autorin ihr Publikum. Aber dieses lässt sich nicht provozieren. Es fragt nach dem Verbleib der Manuskripte oder der Lektüre des Dichters, der sich seit seinen Jugendjahren in Bewangen ZH gerne in der Kantonsbibliothek aufhielt. Es schwärmt von der Tatkraft des Bauern beim harten Drainieren seines Bodens. Und es will wissen, wie es zum Titelbild kam, für das der bekannte Fotograf Hans Staub für die „Zürcher Illustrierte“ den Dichter lesend und schreibend über eine Wiese schreiten liess. „Der Bauer Huggenberger war eine Inszenierung“, sagt Rea Brändle.
Getrieben in der Jugend, verstummt im Alter
Rechtfertigen muss das Autoren-Duo nur den Untertitel seiner Biografie: „Die Karriere eines Schriftstellers“. Sie habe der „wahnsinnige Drive“ des jungen Bauern interessiert, der unbedingt ein berühmter Dichter werden wollte, erklärt Rea Brändle: „Was ist – nach einem Bruch in den frühen 1920er-Jahren – daraus geworden?“ Huggenberger genoss die Verehrung seines Publikums, gerade auch der Blut-und-Boden-Ideologen im Dritten Reich. Er wehrte sich verständnislos gegen Angriffe auf seine Gesinnung – oder eben wegen des Fehlens einer Gesinnung. Und er verschwand schliesslich völlig in der Unfassbarkeit, angesichts des Unfassbaren, das im Nazireich geschah.
Darum muss die Frage zuletzt doch noch sein, obwohl sie die meisten im Publikum nicht mehr hören mögen. Die Antworten zu Huggenbergers Haltung gegenüber den Nazis seien unbefriedigend geblieben, räumt Mario König ein. Immerhin kann er feststellen, nachdem „am Schluss doch einiges zusammenkam“: „Seine Haltung war es, nichts zu sagen.“ Schweigen, meint der ehemalige Mitarbeiter der Bergier-Kommission, sei aber „kein Umgang mit so grauenhaften Verbrechen“. Darauf folgt wieder „das eiserne Schweigen, das um diesen Mann herrschte“. Nur Hans Wenzinger, der abtretende Präsident der Huggenberger-Gesellschaft, kann dem Eklat vom Dezember 2006 etwas Gutes abgewinnen: „Wenn es die Zugstaufe gegeben hätte, dann gäbe es dieses Buch nicht.“
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