von Maria Schorpp, 11.02.2019
Wo sich die Seele reinigt
Der Autor Usama Al Shahmani las im Bodmanhaus aus seinem Buch „In der Fremde sprechen die Bäume arabisch“. Ein bisschen war es auch eine Liebeserklärung an die Schweiz.
Einmal nannte er es das „unvorstellbare Verschwinden“. Sein jüngerer Bruder Ali, der in Bagdad studierte, als Saddam Hussein herrschte, verschwand dort von heute auf morgen. Die Familie hörte bis heute nichts mehr von ihm. Zu der Zeit war Usama Al Shahmani bereits in der Schweiz, wo ihn die Nachricht erreichte. Der Kern seines neuen Buchs „In der Fremde sprechen die Bäume arabisch“, sagte er bei der Lesung im Bodmanhaus, sei das Verschwinden von Ali. Noch eine zweite Unvorstellbarkeit nimmt darin Form an: die Verpflanzung eines Menschen quasi von heute auf morgen in eine für ihn denkbar fremde Kultur. Ungefähr so: Heute Bagdad, morgen Stein am Rhein.
Usama Al Shahmani ist seit 2002 in der Schweiz, der hochgelobte autobiografisch gefärbte Roman ist sein zweites Buch auf Deutsch. Die Auswahl dessen, was er im Bodmanhaus las, hatte er zuvor seinem Gesprächspartner Gallus Frei-Tomic überlassen. Und der Literatur-Webseitenbetreiber, wie er sich selbst bezeichnete, hatte Kapitel ausgesucht, die sich insbesondere auf das Zusammentreffen der Kulturen kaprizieren, Episoden, die der Zuhörerschaft im Bodmanhaus mehrfach spontane Lacher entlockten. Man meinte die Szene vor sich zu sehen: Der Ich-Erzähler Usama und Bilal, sein Mitbewohner im Asylantenheim, bekommen Besuch von dessen Tante, die seit vier Jahrzehnten in der Schweiz lebt. „Ich dachte, sie erzähle uns einen Witz, als sie uns berichtete, dass sie mit ihrem Mann fast jedes Wochenende wandern gehe.“ Und Bilal auf die Einladung, einmal mitzukommen: „Du, Tante, glaubst du, dass ich verrückt geworden bin? Verlangst du von mir, dass ich mein Bett an einem Sonntagmorgen um sieben Uhr verlasse, um in irgendeinem Wald herumzulaufen?“
Im Arabischen gilt der Wald als Ort der Angst
Im Arabischen gibt es nicht einmal ein Wort für „wandern“, wie der Usama im Roman herausfindet. Dabei wird dieses Herumlaufen im Wald für ihn zur Rettung. Der Wald, die Berge, das Wasser, besonders der Wald: Er ist für ihn das Labor, in dem alle Experimente gelingen, wo sich die Seele reinigt. Auch das Wandern selbst, das Gehen, wird ihm zum unerwarteten Rettungsring und – wie bei Bilals Tante – zum Bedürfnis. Der Schriftsteller aus Frauenfeld und Gallus Frei-Tomic griffen das Stichwort auf, um die Bedeutung des Baums im arabischen Kulturraum anzusprechen. Seine Grossmutter habe immer gesagt, erzählte Usama Al Shahmani, neben einem Baum dürfe man nicht aus Ärger seine Stimme erheben, um ihn nicht zu stören. Der Wald hingegen gelte im Arabischen eher als Ort der Unsicherheit und der Angst.
Usama Al Shahmani stand als Literaturwissenschaftler und Doktorand an der Universität in Bagdad wegen regimekritischer Schriften auf die schwarze Liste. Seine Flucht brachte ihn zuerst in den Aargau, dann in den Thurgau. Wie in einer Zwangsjacke muss es diesem Mann des Wortes vorgekommen sein, sich anfangs nur notdürftig ausdrücken zu können. Sehr greifbar ist das in dem fast gleichnishaften Kapitel mit dem kultivierten Herrn zu lesen, der ihn für einen Nachmittag anheuert, um im Garten zu helfen, und mit dem er sich gern austauschen würde. Und er wundert sich, dass der Mann ihm so sehr vertraut und ihn in seiner Wohnung zwischen den wertvollen Gegenständen allein lässt. „Das Vertrauen und die Hilfsbereitschaft haben mich beschäftigt.“
Der Krieg hat die Sprache hart gemacht
Der Krieg zerstört nicht nur biologisches Leben. „Der Krieg und die Diktatur säten ein grosses Misstrauen unter den Menschen, der Raum des Vertrauens wurde immer kleiner, der Verdacht wurde zur Regel“, sagt der Usama im Buch. Der Usama bei der Lesung geht noch einen Schritt weiter: Die Sprache im Irak weise dieselben Narben auf wie die Menschen. Durch den Krieg sei sie hart geworden. „Ich merkte sofort, dass es in der Schweiz keinen Krieg gab – an der Sprache.“ Beim Gehen in der Natur und an seiner zunehmenden Beherrschung der deutschen Sprache habe er gespürt, wie er die Angst vor dem Fremdsein verlor. Der Schriftsteller sieht da eine unmittelbare Verbindung: „Das Gehen ermöglicht mir, der Sprache sehr nahe zu kommen.“ Im Buch beschreibt er, wie er im Wald anfängt, laut zu sprechen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Usama Al Shahmani ist ein Mensch, der offensichtlich gerne lacht. Die Geschichte von der Tante und dem Wandern ist nur eine dieser heiteren Episoden, die zeigen, wie komisch ein „Clash of Cultures“ auch sein kann. Keine Frage aber: Das Schicksal seiner Familie, des Landes und vor allem seines Bruders lässt ihn nicht los. Mit dem Buch habe er den Fragen um Ali zumindest eine Form geben wollen, sagte er. Als Gallus Frei-Tomic, der die Stellen aussuchen sollte, die der Autor vorlas, eine nannte, die von Ali und den Toten im Irak handelt, wich Usama Al Shahmani auf ein Gedicht aus.
Gern würde man noch wissen wollen, was Bilal davon hält, dass der einstige Mitbewohner im Asylantenheim dem Wandern anheimgefallen ist.
Von Maria Schorpp
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