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von Julia Christiane Hanauer, 19.04.2021

Zeiten des Aufbruchs

Zeiten des Aufbruchs
Noch stehen Christa Hess-Grögli und Reto Bisseger zwischen den hochgestellten Stühlen im Kulturforum Amriswil. Aber ab 23. April findet auch hier wieder Programm statt. | © Julia Christiane Hanauer

Theater und Kinos dürfen wieder öffnen, Veranstaltungen in Innenräumen sind mit bis zu 50 Personen möglich. Aber: Wie schnell lassen sich Kulturbetriebe wieder hochfahren? Eine Umfrage in Amriswil, Arbon und Weinfelden. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Der Künstler im Scheinwerferlicht, das lachende Publikum, der tosende Applaus – all das ist noch kaum vorstellbar in dieser seit Wochen herrschenden Ruhe. Ein paar Tische stehen im Quadrat, an jedem ist ein Stuhl hochgestellt – wer hier sitzt, sitzt coronakonform. Nur die Leuchten an der Decke erinnern aktuell an die Veranstaltungen, die sonst im Kulturforum Amriswil über die Bühne gehen.

Doch nach dem Entscheid des Bundesrats vom vergangenen Mittwoch für weitere Öffnungen ist klar: Auch hier zieht bald wieder das kulturelle Leben ein. Die Veranstaltung mit Stefan Waghubinger am 23. April findet statt und am 7. Mai steht Kiko mit seinem Soloprogramm im Rampenlicht.

Ein kleines Licht am Ende eines sehr langen Tunnels

Für den Verein war die Bundesrats-Entscheidung so etwas wie ein kleines Licht am Ende eines sehr langen Tunnels. Finanziell ist der Verein zwar so aufgestellt, dass er Defizite bei beispielsweise geringeren Eintritten (wie nun mit maximal 50 Personen erlaubt) abfedern könnte. Eine Lösung auf Dauer sei das aber freilich nicht, zumal Auftritte mit Künstlern, die höhere Gagen haben, nicht mehr möglich seien, erklärt Reto Bissegger, der sich in der Programmgruppe des Vereins engagiert.

Vertraglich sei das Kulturforum abgesichert, bei höherer Gewalt wie der Pandemie müsse es keine Ausfallentschädigung an den Künstler zahlen. Die insgesamt 15 Hauptakteure des Vereins aus Vorstand und Programmgruppe sind ehrenamtlich tätig. Somit müssen sie zwar nicht davon leben, aber mit ihrem Engagement bieten sie Künstlern eine Bühne.

„Gerade für junge Künstler ist es aktuell sehr schwierig, weil sie nicht auftreten können.“

Christa Hess-Grögli, Verein Kulturforum Amriswil

Und so kreisen ihre Gedanken um das Kulturleben und dessen Erhalt. „Gerade für junge Künstler ist es aktuell sehr schwierig, weil sie nicht auftreten können“, sagt Christa Hess-Grögli vom Kulturforums-Verein. Künstlerbörsen, auf denen sich junge Talente präsentieren könnten, entfallen seit Monaten.

Digitale Formate sind für Kulturforum Amriswil keine Alternative

Was für den Verein in der ganzen Pandemie-Zeit nie in Frage kam, waren digitale Konzepte. Natürlich hätten sie auch darüber diskutiert, sagt Reto Bissegger, aber sowohl der finanzielle als auch der technische Aufwand sei einfach zu gross. Hinzu komme, dass zu ihren Besuchern auch zahlreiche ältere Menschen gehören, die sich freuen, wenn sie ins Kulturforum kommen und soziale Kontakte pflegen können.

Und damit sprechen sie einen der zentralen Punkte an, der für den allgemeinen Kulturbetrieb von immenser Bedeutung ist. „Das Publikum hat gemerkt, wie sehr ihm Kultur fehlt und die Kulturschaffenden haben gemerkt, wie sehr ihnen das Publikum fehlt. Diese Symbiose ist vielleicht dem ein oder anderen jetzt erst nochmal so richtig klar geworden“, resümiert Alex Meszmer, Geschäftsleiter von Suisseculture, dem Dachverband der Schweizer Kulturschaffenden.

Kultur funktioniert im Stream nur bedingt

In dieser Position ist er auch Mitglied der Taskforce Culture, einem im vergangenen Jahr aufgrund von Corona gegründeten Zusammenschluss von fünf Dachverbänden und -organisationen sowie von Kulturverbänden, die sich beim Bundesrat, der Bundesverwaltung und den Kantonen für die Belange der Kulturschaffenden in der Gesamtschweiz einsetzt. Sein Eindruck der vergangenen Monate: Besprechungen, Mitgliederversammlungen, Kulturfördergesprächen sind per Videokonferenz machbar. Nicht aber die Kultur selbst.

„Wir brauchen unser Publikum und unser Publikum braucht uns. Der direkte Kontakt ist extrem wichtig. Man kann ein digitales Museum aufbauen, man kann eine digitale Sammlung haben, aber wenn man nicht mit den Leuten in direkten Kontakt, in den Austausch gehen kann, dann ist das totes Material. Deswegen ist die Kultur so stark betroffen, denn die Essenz der Kultur ist das soziale Miteinander“, findet Alex Meszmer.

„Wir brauchen unser Publikum und unser Publikum braucht uns. Der direkte Kontakt ist extrem wichtig."

Alex Meszmer, Geschäftsführer Suisseculture (Bild: Sascha Erni)

Das soziale Leben ist - zumindest in Teilen – bereits vor einigen Wochen wieder im Theater Bilitz in Weinfelden eingezogen. Denn für Schulen durften die Institutionen im März wieder ihre Türen öffnen. „Die Freude der Kinder und Lehrer zu sehen, ist toll“, sagt Roland Lötscher, Leiter des Theaters und der Geschäftsstelle Theaterhaus Thurgau.

Natürlich stehe dahinter auch ein immenses Hygiene- und organisatorisches Konzept, statt einer Vorstellung mit drei Klassen gibt es beispielsweise drei Vorstellungen mit einer Klasse, aber „es lohnt sich, es durchzuziehen“.

Auch eine Erkenntnis: Digitale Formate erhöhen die Reichweite

Während des Lockdowns hat das Theater versucht, auf neuen Wegen nah an seinem jungen Publikum zu sein. Das Stück «Herz eines Boxers» veröffentliche es als Video und schickte es an die Schulen – die Reichweite ging bis nach Norddeutschland.

Die Klassen schauten sich die Aufführung an und besprachen anschliessend per Livestream das Stück mit Lötscher und stellten Fragen. Im Gegensatz zum aufgeführten Theaterstück konnten sich die Jugendlichen danach nochmals das Video anschauen.

Doch bei aller Freude: „Man wird wegen der Planungsunsicherheit müde“, sagt Lötscher. Im vergangenen Jahr sollte die Premiere der Eigenproduktion «Zukunftsmusik» des Theagoviatheater gefeiert werden. Die Proben wurden kurzerhand abgebrochen und die Premiere auf September 2021 verschoben. Auch die öffentliche Premiere von «Bergkristall» wurde in diesen Monat verlegt, aber zumindest kann die Vorstellung für Schulen gespielt werden.

„Man wird wegen der Planungsunsicherheit müde.“

Roland Lötscher, Leiter Theater Bilitz (Bild: Julia Christiane Hanauer)

Das Programm für die Spielzeit 2021/2022 entsteht gerade. „Wir schauen, dass wir die Planungsschritte gut einteilen“, erläutert er das Vorgehen. Was muss bereits gemacht werden, was kann vielleicht noch etwas hinausgeschoben werden? „Wo wir Kultur machen können, machen wir es“, sagt der Theaterleiter und hat nach einem Jahr Corona festgestellt: „Man wird flexibel.“ Und: Mit Ausfallentschädigung und Kurzarbeit sei die finanzielle Lage des Theaters gesichert.

Ab Ende April finden im Theaterhaus wieder öffentliche Vorstellungen statt. Lötscher treibt aktuell noch die Frage um, wie das Publikum wiedergewonnen werden kann. Er ist sich sicher: „Wer das Theater vermisst, wird kommen.“

Finanzielle Unterstützung der Kantone bei Transformationsprojekten

Auch auf kantonaler Ebene ist dieses Thema angekommen. So gibt es finanzielle Unterstützung bei den Transformationsprojekten. Dabei werden Kultureinrichtungen bei der Entwicklung neuer Konzepte unterstützt, bei denen es zum einen darum geht, Kulturunternehmen den durch Covid-19 geschuldeten Veränderungen anzupassen, zum anderen sollen Strategien zur Wiedergewinnung der Besucher entwickelt werden.

Dabei solle, so Meszmer, beispielsweise das Equipment so angepasst werden, dass man mit dem Publikum anders umgehen könne, beispielsweise ein Sensor, damit das Licht angeht und kein Knopf mehr gedrückt werden muss.

Wie das MoMö auf die neuen Regeln reagiert

Dieses Konzept hat das MoMö in Arbon bereits selbst umgesetzt. Beispielsweise wurden Teile, die angefasst werden mussten, demontiert und durch Sensoren ersetzt, so dass keinerlei Berührung mehr notwendig ist. Und eigentlich hätte das Schweizer Mosterei- und Brennereimuseum sogar Mitte März bereits seine Türen öffnen können.

Doch die Türen blieben zunächst geschlossen. Denn das Museum hatte ein Problem: Es gehört zur Mosterei Möhl und damit liegt es auf der Hand, dass auch dem Geschmackssinn in diesem Haus eine zentrale Rolle zukommt. Und der wiederum durfte laut Coronaregelung nicht bedient werden: Einmal durch die Ausstellung laufen ja, Verkostung nein. Dennoch hat das Museum nun seit 14. April geöffnet – auch ohne Degustation.

Im MoMö wurde der Lockdown genutzt – und im Obergeschoss das Labyrinth, in dem das Thema Wildbienen und Apfelsorten im Vordergrund steht, erweitert. Bild: Julia Christiane Hanauer

Die Zahlen nach der Wiedereröffnung stimmen positiv

Mehrere Überlegungen haben zu diesem Schritt geführt: „Einerseits war das Bedürfnis nach zusätzlichen Freizeitaktivitäten seitens Bevölkerung gerade während den Frühlingsferien als gross einzustufen, andererseits haben wir mit der baldigen Lockerung in Bezug auf die Nutzung der Terrassenplätze spekuliert“, sagt Geschäftsführer Paolo Spagnolo.

Die Zahlen bestätigen die Vermutung der Museumsleitung. Allein in den ersten beiden Tagen zählte es 300 Besucher – trotz strenger Vorgaben: Maskenpflicht ab zwölf Jahren, Abstandsgebot, Händedesinfektion und Contract Tracing.

„Es ist besser zu planen und dann abzusagen als kurzfristig zu planen.“

Paolo Spagnolo, MoMö-Geschäftsführer (Bild: Julia Christiane Hanauer)

Das Gastroangebot ist aktuell noch zum Mitnehmen, aber mit dem Bundesratentscheid steht einer Konsumation auf der Terrasse nichts mehr im Wege,  aber „ab wann wieder Führungen stattfinden werden, ist noch nicht bestimmt“, sagt Spagnolo.

Im MoMö finden zudem jährlich bis zu 20 Kulturveranstaltungen statt, dazu Tagungen, Führungen, Degustationen. Spagnolo hat das Jahr 2021 trotz allem wie ein normales Jahr geplant und auch die Anmeldungen laufen – was zur Folge hat, dass er manchen Termin bereits zum dritten Mal umgebucht hat. Dennoch bewertet er dieses Vorgehen positiv. „Es ist besser zu planen und dann abzusagen als kurzfristig zu planen“, sagt er. „Und: Was wir dieses Jahr machen können, das werden wir auch machen.“

Wiedereröffnung muss branchenspezifisch gedacht werden

Als Mitglied der Taskforce Culture fasst Alex Meszmer das weitere allgemeine Vorgehen so zusammen: „Wir haben uns grundsätzlich darauf berufen zu sagen: Es gibt die Experten und die kommen aus dem Gesundheitsbereich und die müssen sagen, was ist möglich und was ist nicht möglich. Und auf der anderen Seite gibt es die Politik, die entscheidet. Was können wir machen? Wir können den einen zuhören und überlegen, was ist möglich und den anderen dann sagen, ‚Schaut mal, die sagen, das ist möglich‘.“

Es gehe darum, Lösungen zu finden, die sowohl auf die jeweilige Branche  als auch den Veranstaltungsort zugeschnitten seien.

Ein Wunsch: Lieber länger geschlossen bleiben als dieses ständige Auf und Zu

Was alle hier im Text genannten Kulturschaffenden und Veranstalter fürchten, ist, dass sie eventuell auch wieder so schnell schliessen müssen wie die Lockerungen kamen. Dabei sind sie sich einig: Lieber länger geschlossen bleiben, dafür nach Wiedereröffnung nicht wieder schliessen müssen.

Dennoch: In einer Medienmitteilung zeigt sich die Taskforce Culture nach der Medienkonferenz des Bundesrats optimistisch: „Mit der schrittweisen Öffnung wird der Kultursektor beweisen können, dass er taugliche Schutzkonzepte hat, bei denen die Sicherheit der Besuchenden, der Auftretenden und der ganzen Crew im Vordergrund stehen. Dies wiederum wird dem Bundesrat die Möglichkeit geben, rasch weitere Öffnungsschritte zu beschliessen.“

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